| Dr. Silke Gatenbröcker

Antiker Held in Serie

Bei Cranach ist Herkules nicht gleich Herkules

Eines unserer beliebtesten und bekanntesten Gemälde ist die Darstellung „Herkules bei Omphale“ von Lucas Cranach aus dem Jahr 1537. Die Szene zeigt Herkules, den sprichwörtlichen Helden der Antike, der zwar kein Gott war, aber den Göttern doch näher stand als normale Sterbliche. Während er meist als Vollführer übermenschlicher Wundertaten und siegreicher Bezwinger von Ungeheuern auftritt, lernen wir ihn hier in einer ganz anderen Rolle kennen. Als Strafe für einen Mord lebte er zeitweilig als Sklave bei Königin Omphale und sorgte für die Sicherheit ihres Reiches Lydien. Sie aber verdrehte ihm so den Kopf, dass er sich von den Hofdamen verspotten lässt. Keule und Löwenfell werden ausgetauscht gegen Frauenhaube und eine Spindel zum Spinnen von Wolle – reine Frauenarbeit. Lässt sich die Vorstellung von der seit dem Mittelalter gefürchteten „Weibermacht“ schöner ausdrücken? Der überlegene, süffisante Blick der Omphale mit ihrem kapriziösen Kopfputz am rechten Bildrand spricht Bände, ebenso wie der törichte Gesichtsausdruck des umzingelten Helden.

Das Gemälde ist unzweifelhaft ein Meisterwerk, aber kein absolutes Einzelstück. Nicht nur das Thema, sondern vor allem Cranachs Umsetzung des antiken, komödiantischen Stoffs war in der Renaissance offensichtlich sehr beliebt. Das beweisen die zahlreichen Varianten, die teilweise in Cranachs eigener Werkstatt geschaffen wurden, teilweise auch später noch von Imitatoren kopiert wurden. 14 bekannte Fassungen sind aktuell in der umfangreichen online-Datenbank „Cranach Digital Archive“ (CDA) abgebildet.

Lucas Cranach d.Ä. sowie seine beiden Söhne Hans d.Ä. (der  bereits 1537 starb) und Lucas d.J. führten eine große Malerwerkstatt. Unternehmerische und künstlerische Aspekte griffen hier eng ineinander. Es gab weitere Gesellen, die dabei halfen, der riesigen Nachfrage nach Cranachs Bildern nachzukommen. Alle arbeiteten nach den Vorgaben und den Bildvorlagen, die vom Vater und den Söhnen Cranach geschaffen wurden.  Erfolgreiche Motive wurden vielfach produziert und mit der bekannten Signatur versehen (der „Cranach-Schlange“) - warum sollte man eine gute Erfindung nur einmal herstellen, wenn damit viel Geld zu verdienen war? Außerdem wurde die Kunst der „Marke“ Cranach umso bekannter und gefragter, wenn man sie in mehrfacher Ausführung in alle Himmelsrichtungen verbreitete, in unterschiedlichen Formaten für unterschiedliche Kunden. – Familie Cranach hatte die Gesetze des Marktes früh verstanden.

Dies erklärt, warum keines der Werke sich wirklich gleicht, es sind Geschwister, aber keine Zwillinge. Jedes Gemälde verrät auf den ersten Blick etwas vom individuellen Charakter seines jeweils ausführenden Malers.

Wer möchte, kann im Moment bei der Bamberger Kunsthandlung Senger eine Version dieses Gemäldes erwerben. Wem das zu hoch gegriffen ist, dem sei der Vergleich mit dem Bild im HAUM in der online Ansicht empfohlen.

Auf den ersten Blick wirkt alles sehr ähnlich, aber die ausführliche Betrachtung zeigt: Es kommt auf die Details an.

Im Gemälde des Bamberger Händlers wird nicht so deutlich, wovon Herkules sich betören lässt. Es sieht so aus, als seien es die jungen Hofdamen, die ihn im doppelten Wortsinn umgarnen. Herkules blickt hier nicht zu seiner Herrin, aus der nun eine etwas bieder wirkende Hausfrau geworden ist, mit der zu Cranachs Zeit typischen weißen Haube der verheirateten Frauen.

Während die Braunschweiger Komposition (wie zahlreiche der anderen Fassungen auch) in der linken oberen Ecke mit zwei Rebhühnern in trompe l’oeil-Manier ausstaffiert ist, hängt in der Bamberger Version eine erlegte Stockente an der Wand, eine nicht unerhebliche Veränderung. Rebhühner galten in der Antike als Symbol für besondere Fleischeslust. Sie können hier als Anspielung auf Herkules‘ Kontrollverlust aufgrund seiner sinnlichen Begierde verstanden werden. – Eine Warnung an die Mächtigen und Herrschenden, für die derartige Gemälde hauptsächlich geschaffen wurden. Entsprechend warnt auch der lateinische Sinnspruch: „Die lydischen Mädchen legen ihre Hausarbeit in die Hände des Herkules / dieses Gottes, der sich der Herrschaft der Frauen unterwirft / so verführt die Wollust den Geist der Großen / und Leidenschaft schwächt das starke Herz durch Verweichlichung.“

Doch Cranach mag noch etwas anderes im Sinn gehabt haben: Cranach hatte mit dem Venezianischen Maler Jacopo de Barbari 1505 um den Posten des Hofmalers am kursächsischen Hof in Wittenberg konkurriert. Von diesem ist ein ähnliches Augentäuscher-Stillleben aus dem Jahr bekannt, das ein erlegtes Rebhuhn, einen Eisenhandschuh und einen Pfeil an einem Nagel an einer Wand hängend zeigt.

Man hat den Eindruck, als habe Cranach das Rebhuhn-Jagdstillleben als Anspielung auf den gewonnenen Wettstreit mit dem Italiener neben den erläuternden Sinnspruch und seine Signatur gesetzt.

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