| Dr. Andreas Uhr

Antoine Watteau zu Gast in Charlottenburg

Im Bestand des Herzog Anton Ulrich-Museum findet sich bis heute weder ein Gemälde noch eine Zeichnung von der Hand Antoine Watteaus und dennoch ist die Kunst Watteaus im Kupferstichkabinett präsent. Denn im Bereich des gedruckten Bildes besitzt das Museum teils seltene Reproduktionsgraphik nach Watteau, welche bereits unter Herzog Carl I. von Braunschweig-Wolfenbüttel in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts erworben worden ist. Einige druckgraphische Arbeiten aus diesem Bestand waren bis zum 9. Januar 2022 in der Ausstellung „Antoine Watteau. Kunst Markt Gewerbe“ auf Schloß Charlottenburg zu Gast.
 

Ausgeliehen wurden modern gesprochen zwei seltene „Bildbände“ mit Druckgraphik nach Zeichnungen des Malers Antoine Watteau (1684–1721), die der Textilfabrikant Jean de Jullienne (1686–1766) posthum verlegt hat sowie einige gerahmte Einzelblätter. Watteau und de Jullienne waren sehr gute Freunde und was tut man nicht alles für Freunde!

 

Im konkreten Fall war Watteau 1721 im Alter von nur 36 Jahren gestorben und so fasste de Jullienne im darauffolgenden Jahr den Plan, das künstlerische Andenken an seinen Freund im Gedächtnis wachzuhalten. Doch wie sollte dies geschehen? Im 18. Jahrhundert erfreute sich die Gattung der Reproduktionsgraphik besonderer Beliebtheit. Unter dem Begriff der Reproduktionsgraphik ist zu verstehen, dass ein Objekt wie ein Gemälde oder eine Zeichnung mit druckgraphischen Mitteln abgebildet und im Medium des gedruckten Bildes wiedergegeben wird. Derartige Reproduktionen wurde besonders dazu genutzt, um die Kunstsammlungen einzelner Persönlichkeiten in Abbildungen bekannt zu machen. In ähnlicher Weise sollte auch dem Maler Watteau nach seinem frühen Tod gezielt zu Ruhm und Ehre verholfen werden. Derartige Zusammenstellungen dienten ganz praktisch gesprochen zahlreichen Künstlern und Handwerken zudem aber auch als ein quasi unerschöpflicher Formvorrat, der ihnen zahlreiche Anregungen für die eigene Arbeit lieferte, was die Ausstellung in Charlottenburg eindrücklich aufzuzeigen vermochte.

Jean de Jullienne erwarb schließlich am 27. Juli 1727 für die Dauer von zehn Jahren das Generalprivileg Druckgraphiken nach Gemälden von der Hand Watteaus zu verlegen. Der zeitliche Abstand von sechs Jahren zu Watteaus Tod erklärt sich aus dem Umstand, dass ein Druckprivileg grundsätzlich erst dann erteilt wurde, wenn die Drucke fertig waren. Bis zur Komplettierung des Konvolutes sollte es allerdings noch bis 1735 dauern. Der sogenannte Recueil Jullienne umfasst insgesamt vier Bände – zwei Bände mit Figures de différents caractères (Figuren unterschiedlichen Charakters), die verschiedenen Zeichnungen Watteaus entnommen sind, und zwei Bände zum Œuvre d’Antoine Watteau … gravé d’après ses tableaux et desseins orginaux (Œuvre Antoine Wattaus … gestochen nach seinen originalen Gemälden und Zeichnungen). In der Summe handelt es sich um nicht weniger als 495 Graphiken, die von etwa 30 Stechern angefertigt worden sind. Alle vier Bände konnten 1734 zu einem Subskriptionspreis von 500 livres bestellt werden. Doch verkaufte sich die Auflage von 100 Exemplaren nur schleppend, was nicht zuletzt an der ins Auge gefassten elitären Kundschaft reicher Kunstliebhaber, Fürsten und Herzöge sowie königlicher Bibliotheken gelegen haben dürfte, die nicht gerade zahlreich gesät waren.

Das Kupferstichkabinett des Herzog Anton Ulrich-Museums besitzt nicht den gesamten Recueil Jullienne, sondern in der Nachfolge Herzog Carl I. nur die heute besonders raren Zeichnungsbände. Diese verstehen sich als bewusst ausgewählte Kompilationen von Figuren und Elementen, die man aus dem kompositorischen Kontext der Studienzeichnungen von der Hand Antoine Watteaus herauslöste, um sie bewusst vor Augen zu stellen. Die Basis, der für dieses Projekt auszuwählenden Zeichnungen, ergab sich aus Watteaus Nachlass, denn Watteau hatte seine Zeichnungen seinen vier besten Freunden zu gleichen Teilen hinterlassen: Jean de Jullienne, Nicolas Hénin (1691–1735), Abbé Pierre-Maurice Haranger (um 1660–1735) und Edme-François Gersaint (1694–1750).

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