| Marlene, die Lederschildkröte

Gepanzert durch die Jahrmillionen

...und die Ostsee

Als Hauptattraktion der Sonderausstellung „Schildkröten – Gepanzert durch die Jahrmillionen“ ist die Lederschildkröte „Marlene“ ein echter Hingucker. Noch wartet sie sehnsüchtig darauf, dass die Museumstüren wieder geöffnet werden können. Wir haben sie vorab schon einmal getroffen und ihr fünf Fragen über ihr Leben, ihre lange Reise und ihren Aufenthalt in Braunschweig gestellt.

Hallo Marlene, stelle dich doch bitte kurz unseren Leser*innen vor. Wer bist du eigentlich?

Oh Hallo?! Es ist schön mal wieder einen Menschen zu sehen. Normalerweise besuchen mich im Jahr etwa 200.000 Menschen, aber in den letzten Monaten ist es ziemlich einsam im Meeresmuseum Stralsund  geworden. Dabei freue ich mich immer, etwas über mein Leben erzählen zu dürfen. Also nun … um auf eure erste Frage einzugehen, wer bin ich eigentlich. Ich bin eine große Meeresschildkröte, gehöre sogar zu der Art, die von allen Schildkröten am größten werden kann. Ihr habt mir den komplizierten Namen Dermochelys coriacea gegeben, wer soll das eigentlich aussprechen können? In Deutschland nennt ihr mich und meine Artgenossen schlicht Lederschildkröte, wohl wegen meiner ledrigen Haut. Das klingt erstmal nicht so nett, aber kommt daher, dass ich gar keinen richtigen Panzer, wie die meisten anderen Schildkröten habe, sondern ganz viele kleine Knochenplättchen, die von besagter, ledrigen Haut umgeben sind. Mit meinen 2 m Länge und 450 kg Gewicht bin ich ein wahrer Koloss unter den Reptilien. Aber damit bin ich noch lange nicht die größte meiner Art. Ich kannte mal eine entfernte Verwandte, die war über 2,5 m lang und wog 916 kg, die war ein echtes Schwergewicht, konnte den ganzen Tag Quallen fressen, aber ich schweife ab…

Das ist sehr interessant, Marlene. Und wo kommst du ursprünglich her, also wo trifft man dich und deine Artgenossen eigentlich an?

Nun ja, das ist eine lange Geschichte. Aber ich versuche mich mal kurz zu halten. Mein Zuhause sind eigentlich die tropischen und subtropischen Meere auf der ganzen Welt. Geschlüpft bin ich an einem traumhaften Strand in der Karibik. Genauer auf der südlichsten Insel der Kleinen Antillen mit dem Namen Trinidad. Meine Geburt war ein wirklich aufregendes Ereignis, mit meinen ganzen Geschwistern gleichzeitig zum Strand zu kriechen, ich werde den Ort niemals vergessen. Die Palmen, der Mond, die Gerüche und vor allem die magnetische Flussdichte sind dort am schönsten. Ach ja, ihr Menschen könnt das Erdmagnetfeld ja gar nicht wahrnehmen, ich vergesse das immer wieder. Es ist schwer zu beschreiben, besser wir halten uns damit jetzt nicht auf. Also nachdem ich eine ausschweifende Jugendzeit in der Karibik verbracht habe, zog es mich dem Golf- und Nordatlantikstrom folgend Richtung Europa. Das kulinarische Angebot dort ist wirklich hervorragend und von allem ist reichlich da. Ich will nicht sagen, dass die Quallen in der Karibik nicht schmecken, aber nachdem ich schon zum wiederholten Male irrtümlicherweise in eine Plastiktüte gebissen habe, wurde es mir dann doch zu viel. Das Quallenangebot in Europa – besonders im Sommer, wenn es dort auch mal warm ist – entschädigt die weite Reise durch den Atlantik. Dabei gelten unter uns Lederschildkröten vor allem die Küsten um die französische Bretagne und die Britischen Inseln als begehrte, kulinarische Ausflugsziele. Sobald der Sommer um ist, kehren wir dann wieder in die Karibik zurück. Im Abstand von 2 bis 3 Jahren kam ich mehrmals an meinen Heimatstrand in Trinidad zurück und kroch mühsam  an Land, schaufelte ein tiefes Loch in den Sand und legte dann bis zu 100 Eier ab. Danach verweilte ich ein paar Monate in der Karibik, paddelte mal nach Florida oder Mexiko und im Sommer ging‘s dann wieder nach Europa. Soweit so normal. Als ich dann allerdings eines Sommers dort ankam, war mir leider noch nicht bewusst, dass es meine letzte Atlantiküberquerung werde würde…  ich habe mich wohl etwas zu weit vorgewagt. Die vielen Schiffe irritierten mich und plötzlich war ich in ungewohnter Umgebung, viel weiter östlich, als ich jemals geschwommen bin. Auch mein Magnetsinn war irgendwie getrübt; auf einmal passierte ich ein Nadelöhr ohne es zu wissen und fand mich in der Ostsee wieder. Es gab kein zurück mehr.

Ohje! Was ist dann passiert, Marlene? Hat man dich gefunden und konnte man dir helfen?

Ja, ich wurde im Herbst 1965 gefunden. Also erst kürzlich – wobei für euch Menschen ist das wohl schon etwas länger her. Nun gut. Ich wurde von einigen Fischern in der Ostsee bei Strelasund unweit von Stralsund gefunden und etwas unsanft mit einem Netz an Land gehievt. Es war erstaunlich viel los – ich erregte wohl sehr viel Aufsehen. Das ließ auch nicht nach als man mich in einem LKW in den Rostocker Zoo brachte. Ich fand das alles sehr anstrengend, schließlich war das meine erste Reise an Land und als ich im Zoo ankam, ging es mir nicht gut. Alle Welt sprach von mir. Ich sei wohl die Lederschildkröte, die sich bisher am weitesten in die Ostsee vor getraut hätte. Dabei hatte ich mich doch nur verschwommen. Die Besucherströme rissen nicht ab, aber etwa drei Tage nach meiner Ankunft im Rostocker Zoo wurde es mir zu viel, ich war einfach zu erschöpft von den ganzen Strapazen der langen Reise und ich gab auf.

Arme Marlene, das klingt sehr traurig! Aber deine Geschichte ist damit ja noch nicht zu Ende. Was ist dann mit dir passiert?

Nein, zum Glück ist das nicht das Ende gewesen. Vielen interessierten Wissenschaftler*innen lag es am Herzen, mein aufregendes Leben der Nachwelt zu erzählen. Dafür präparierte man mich aufwändig und viele Daten über mich und meine Körperteile waren für die Wissenschaft sehr wertvoll. Mein präpariertes Äußeres wurde dann anschließend im Deutschen Meeresmuseum in Stralsund ausgestellt. Auch wenn ich nicht mehr lebte, konnte ich noch viele Besucher*innen begeistern und inspirieren.

Durch die Jahre veränderten sich dann allerdings die Besucher*innen, sie trugen andere Kleidung, die Kameras wurden kleiner, aber nicht nur äußerlich, veränderte sich etwas an ihnen. Nach 35 Jahren merkte ich auch, dass sich ihr Ausdruck, während sie mich anschauten, wandelte. Früher war er ehrfurchtsvoll und erstaunt und irgendwann schwenkte er dann in Mitleid um, teilweise wurde ich auch belächelt. Es musste also wieder etwas passieren. Präparator*innen machten sich ans Werk und nutzen mich und meine Hülle als Vorlage, um einen Abguss zu erstellen, der mir deutlich ähnlicher sah – so wie ich damals im Meer geschwommen bin – als sie es mit mir und meinen Überresten je geschafft hätten. Der Abguss sah großartig aus und im Nu war ich wieder das Highlight der Ausstellung und wurde wieder zu einem Besucherliebling im Meeresmuseum Stralsund.

Ein schönes Ende einer so traurigen Geschichte. Und wie kommt es nun dazu, dass wir dich heute hier in Braunschweig antreffen nach dem du doch wahrscheinlich gerade in Stralsund vermisst wirst?

Ja, das ist eine gute Frage. Ihr habt Recht, das passt irgendwie nicht zusammen. Aber die Erklärung ist ganz einfach. Das Meeresmuseum in Stralsund ist ein wunderschönes Museum, welches in der ehemaligen Katharinenkirche beheimatet ist. Es ist eine richtige Herausforderung, ein Museum in einer Kirche unterzubringen – wisst ihr – wir haben ja auch viele große Aquarien dort. Es zeichnete sich also seit ein paar Jahren ab, dass eine große Modernisierung anstehen wird. Konkret ist es jetzt Ende letzten Jahres geworden, das Museum wurde geschlossen und die Umbaumaßnahmen begannen – voraussichtlich für drei Jahre, somit wäre ich vorübergehend in einem Lager für Ausstellungsstücke untergebracht worden und hätte keine Besucher*innen gehabt,  Das wäre halt ziemlich trist geworden. Daher hat man entschieden mich auf Reisen zu schicken, so wie es auch früher im Meer gewohnt war. Und so bin ich nun in Braunschweig gelandet, so weit weg von der Küste war ich noch nie. Aber das passte sehr gut, denn hier ich bin gleich in eine Sonderausstellung rund um Schildkröten integriert worden – und wieder einmal die Hauptattraktion.

Oh ja Marlene, das können wir bestätigen und freuen uns sehr, dass du nochmal eine lange Reise auf dich genommen hast. Aber es gibt auch noch viele andere interessante Informationen über Meeresschildkröten hier zu bestaunen – wobei du natürlich das Highlight bleibst. Denn wir haben auch viele deiner Vorfahren und Verwandten in Form von Fossilien hier, im Saal direkt nebenan. Am 30. April kommen sogar noch lebende Schildkröten eine Etage tiefer dazu, mit noch weiteren Informationen zu Land- und Sumpfschildkröten. Die ganze Sonderausstellung rund um Schildkröten, ist dann bis zum 09. Juli 2021 zu bestaunen.

Wir bedanken uns bei dir, Marlene, dass du deine bewegende Geschichte mit uns geteilt hast. Wir freuen uns darauf, dass du bald wieder ganz viele staunende und ehrfurchtsvolle Gesichter um dich herum versammeln wirst, da sind wir uns sicher.

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