| Dr. Sarah Babin

Moderne Kunst im HAUM? Aber klar doch

Köpfe des Expressionisten Alexej von Jawlensky

Das Herzog Anton Ulrich-Museum ist bekannt als ehrwürdiger Hort der Alten Kunst aus Renaissance und Barock. Flaniert man durch die Museumsräume, passiert man Meisterwerke von Rembrandt, Rubens, Cranach, Permoser und Petel, um nur einige wenige zu nennen.

Doch auch im HAUM stößt man auf wohlbekannte Namen jüngerer Epochen: Namen wie Beckmann, Beuys, Chagall, Dix, Picasso, Kandinsky, Kirchner. Doch wo befinden sich diese Werke? Im Kupferstichkabinett des HAUM! Denn dort endet der Sammlungsbestand nicht wie in den meisten Abteilungen des Museums um 1800, hier wird auch Kunst der klassischen Moderne und sogar zeitgenössische Kunst gesammelt. Um dies stärker bekannt zu machen, werden in den kommenden Monaten immer wieder einzelne Künstler und ihre Werke im Herzog Anton Ulrich-Museum vorgestellt. Den Anfang macht der bekannte russische Künstler und Expressionist: Alexej von Jawlensky (1864 – 1941).

Als Offizierssohn geboren schlug Jawlensky zunächst eine Militärlaufbahn in Moskau ein. Doch schon bald entdeckte er seine Liebe zur Malerei und begann die Russische Kunstschule in Sankt Petersburg zu besuchen. Hier machte er die Bekanntschaft der Künstlerin und Baronin Marianne von Werefkin, wegen ihres Erfolges auch bekannt als ‚russischer Rembrandt‘, die für fast drei Jahrzehnte seine Partnerin und Förderin werden sollte. Ende des 19. Jahrhunderts zog das Paar nach München. Werefkin gab ihre künstlerische Laufbahn ihrem Schützling zuliebe zunächst auf. 1908 reiste das Paar zusammen mit Wassily Kandinsky und Gabriele Münter nach Murnau – eine Zeit und vor allem ein Ort, der für alle vier zu einem Wendepunkt in ihrer Malerei werden sollte. Doch anders als sein Freund Kandinsky wandte sich Jawlensky nicht der absoluten Abstraktion zu, sondern blieb mit seiner Kunst dem Gegenständlichen verhaftet, abstrahierte dieses jedoch. Zunächst sind seine Sujets vielfältig. Er schuf Stillleben, Landschaften und Porträts. Ab 1917 wurde das menschliche Antlitz zu Jawlenskys Hauptbeschäftigungsfeld und entwickelt sich immer weiter weg vom Porträt hin zu allgemein gültigen Köpfen. Auch das Herzog Anton Ulrich-Museumbesitzt u.a. zwei Köpfe des deutsch-russischen Meisters, eine feine kolorierte Zeichnung und eine Druckgrafik.

Die druckgrafische Arbeit ist von besonderer Bedeutung, denn von Jawlensky sind nur wenige grafische Werke bekannt. Einzig als er Anfang der 1920 Jahre in immer mehr finanzielle Schwierigkeiten geriet, da der große Erfolg ausblieb, ließ er zunächst einige frühe Zeichnungen mittels Lithographie drucken. Nachdem er merkte, dass dies eine gute Möglichkeit war, Geld zu verdienen, fertigte er neue Zeichnungen an, die dann ebenfalls per Umdrucklithographie (mehr zur Lithographie im Allgemeinen gibt es hier) gedruckt wurden. Diese Technik ist relativ unkompliziert, da hier die Zeichnung als Abklatsch gedruckt wird. Mit anderen Techniken setzte er sich nicht intensiv auseinander. Gezeichnete Köpfe als Widmungen und Erinnerungen finden sich dagegen nicht wenige, so zum Beispiel in Gästebüchern.

Wenden wir deshalb uns zunächst der Lithographie Kopf II zu. Wie der Titel vermuten lässt, entstammt das Werk einer Mappe, die mehrere Köpfe vereint (insgesamt sechs). Diese wurde 1922 von dem Nassauischen Kunstverein Wiesbaden herausgegeben. Leider besitzt das HAUM jedoch nicht die vollständige Mappe, sondern nur einen dieser Köpfe.

In den stilisierten Gesichtszügen eines feinen, u-förmig geschnitten Gesichts blicken uns leere, riesige Augenhöhlen an. Mund, Nase und Augenbrauen entbehren als gerade Linien jeglicher Individualität. Auch sind keine geschlechtsspezifischen Merkmale erkennbar. Das frontal gezeigte Gesicht füllt das Blatt fast vollständig aus. Hals und Haare sind an den Rändern nur angedeutet. Und doch strahlt das Gesicht etwas ruhiges, Majestätisches, aber auch Mystisches aus. Der Verzicht auf Farbe unterstreicht diesen Effekt noch. Bereits hier wird deutlich, warum Jawlensky gerne als moderner Ikonenmaler bezeichnet wird.

Ganz anders dagegen präsentiert sich die kleinformatige Zeichnung.  

In schwungvollen Linien zeigt der Künstler hier ein zur Seite geneigtes weibliches Gesicht. Trotz der Abstraktion sind feine, edle, durchaus weibliche Gesichtszüge erkennbar. Aber auch hier fehlen aber individuelle Züge. Die Augen des Frauenkopfes sind geschlossen, der Blick damit nach innen gerichtet. Die Bleistiftlinien sind mit farbigen Aquarelllinien betont. Unter die Zeichnung setzte Jawlensky eine Widmung an den Empfänger, Prof. Baum: Eine Erinnerung [/] mit herzlichem Gruß [ A. Jawlenski].

Thema beider Blätter ist das menschliche Gesicht, da sich Jawlensky diesem, wie bereits erwähnt, ab etwa 1917 hauptsächlich widmete. Denn Gesicht und Kopf sah er „als Stellvertreter für den gesamten Menschen“ (Roman Zieglgänsberger, Alexej Jawlensky, 2016, S. 75). „Leib und Seele [werden hier] erfasst und auf allgemeingültige Art und Weise als untrennbare Einheit sichtbar gemacht […].“ (ebenda, S. 76). Innerhalb seiner Schaffenszeit veränderte er seine Grundschemata des Kopfes einige Male, trieb die Abstraktion immer weiter und ließ Einflüsse verschiedenster Themen einfließen. Unsere Köpfe allerdings stehen noch am Beginn dieser intensiven Auseinandersetzung mit dem Sujets.

Es gäbe noch sehr viel zu sagen, über diesen großen russischen Expressionisten, der viele Künstler inspirierte, der schwer von Krankheit gezeichnet in Armut und vollständig gelähmt 1938 die Malerei aufgeben musste. Doch fürs erste soll dies als Einblick genügen.

Nächstes Mal begeben wir uns auf die Spuren eines weiteren Expressionisten. Bleibt dran!

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