| Phoebe Heddell-Stevens und Michaela Scheffler

Neandertalerjagd in Salzgitter-Lebenstedt

Rekonstruktion der Rentierwanderung durch Isotopenanalyse

Phoebe Heddell-Stevens ist in Auckland, Neuseeland aufgewachsen. Als Kind träumte sie davon, Friseurin, Turnerin, Sängerin oder Landschaftsgärtnerin zu werden. Im Jahr 2009 machte sie ihren Bachelor-Abschluss an der Universität von Auckland mit den Hauptfächern Anthropologie und Filmwissenschaften.

Im Jahr 2010 zog Phoebe nach Australien, wo sie vier Jahre lang in der Rettungsarchäologie tätig war und ein Vertiefungsjahr an der Universität von Melbourne absolvierte. Obwohl sie eine Leidenschaft für Geschichte hatte, erschien ihr die Archäologie und der damit verbundene Gedanke nach „Geschichte zu graben“ spannender, als nur über das Vergangene zu lesen.

2015 wechselte sie an das University College in London, um ihren Master in Umweltarchäologie zu absolvieren. Schwerpunkt war dabei die Archäozoologie, also die Erforschung von Haus- und Wildtieren der Vergangenheit.  Thema ihrer Abschlussarbeit war die Beutetierökologie an der Fundstätte Boncuklu in der Südtürkei aus der Zeit des Übergangs von der Alt- zur Jungsteinzeit. Zusätzlich befasste sich Phoebe am Naturhistorischen Museum in London mit der Identifikation von Überresten winziger Bodenlebewesen aus britischen altsteinzeitlichen Fundstätten.

Im September 2019 zog sie nach Jena, wo sie als Doktorandin am Max-Planck-Institut für die Wissenschaft der Menschheitsgeschichte (MPI-SHH) arbeitet. In Zusammenarbeit mit der Friedrich-Schiller-Universität untersucht Phoebe dort in Knochen eingelagerte Isotope, um Aufschluss über die Lebensweise spätpleistozäner Beutetiere und die Strategien menschlicher Jäger während des Paläolithikums in Westmitteleuropa zu gewinnen.

Warum untersuchen Sie Überreste von Tieren vom archäologischen Fundplatz Salzgitter-Lebenstedt? Was ist das Besondere dort?

Salzgitter-Lebenstedt ist ein berühmter Neandertaler-Rentierjagdplatz in Niedersachsen. Er stand bereits im Mittelpunkt der archäozoologischen Untersuchungen von Frau Prof. Dr. Gaudzinski-Windheuser vom Leibniz-Forschungsinstitut für Archäologie. Diese konnte zeigen, dass es dort Belege für die saisonale Jagd auf Rentiere gibt. Ich möchte auf ihrer Arbeit aufbauen, indem ich versuche durch Isotopenanalyse der Zahnproben Beweise für mögliche saisonale Bewegungen und Migrationen der Rentiere zu finden.

In der archäologischen Abteilung des Braunschweigischen Landesmuseums in Wolfenbütttel  untersuchen Sie ganz spezielle Objekte. Zu welcher Objektgattung gehören diese und wie gehen Sie vor?

Ich entnehme Serienproben des Zahnschmelzes von mehreren bleibenden Backenzähnen von Pferden und Rentieren aus Salzgitter-Lebenstedt. Dies geschieht mittels eines Dremel-Bohrers. Die Proben werde ich analysieren, um festzustellen, ob die Tiere in der Gegend gelebt haben oder saisonal dorthin gewandert sind. Mit diesen Informationen und den archäozoologischen Daten kann ich dann untersuchen, ob die Neandertaler möglicherweise zu bestimmten Zeiten des Jahres den Ort aufsuchten, um die Rentiere abzufangen.

In einem größeren Zusammenhang werde ich anschließend meine Ergebnisse mit Belegen für die Jagdstrategie und Mobilität von Homininen von anderen mittelpaläolithischen Fundstellen in Deutschland und Westmitteleuropa vergleichen. Als Hominine bezeichnen wir alle Vorfahren der heutigen Menschen und ihre heute ausgestorbenen Verwandten, die auch Menschen waren, also zum Beispiel die Neanderthaler.

Meine Erkenntnisse sollen zu unserem Verständnis der Jagdfähigkeiten und -strategien der Neandertaler beitragen und helfen, ihrer Interaktion und ihre Rolle innerhalb der spätpleistozänen Umwelt Europas zu verstehen.

Sie sprachen zu Beginn von der Isotopenanalyse. Könnten Sie kurz beschreiben, was für eine  Untersuchungsmethode das ist?

Innerhalb der Archäologie hat uns die Isotopenanalyse von Skelettresten direkte Einblicke bezüglich Ernährung, Lebensraum sowie der Mobilitätsmuster von Homininen und ihrer Beute ermöglicht. Diese Erkenntnisse halfen in jüngerer Zeit auch das Paläoklima und die Umwelt zu rekonstruieren. So konnte beispielsweise durch die Analyse stabiler Stickstoffisotope im Kollagen von Neandertaler-Knochen eindeutig nachgewiesen werden, dass sie Großwildjäger waren und keine Aasfresser, wie zuvor von einigen Wissenschaftler*innen behauptet.

Es werden ständig neue Arten der Isotopenanalyse entwickelt, was spannend ist, da jede neue Methode es uns ermöglicht, mehr Daten zu sammeln und uns letztendlich neue Beweislinien zu liefern, mit denen wir verschiedene Aspekte der Vergangenheit rekonstruieren können.

Wie genau funktioniert die Isotopenanalyse in ihrer Arbeit und welche Informationen können die Ergebnisse liefern?

Insbesondere verwende ich die Analyse stabiler Kohlenstoff- und Sauerstoffisotope, um die Ernährung und den Lebensraum der Individuen sowie die lokalen Klima- und Umweltbedingungen für jeden Fundort zu rekonstruieren. Kohlenstoff- und Sauerstoff-Isotope werden hauptsächlich über die Nahrung, die wir essen, bzw. das Wasser, das wir trinken, in unser Skelettgewebe aufgenommen. Stabile Kohlenstoff-Isotope können uns sagen, welche Art von Pflanzen Individuen während der Zahnbildung gegessen haben und geben Auskunft über die Art des Lebensraums, in dem sie gelebt haben. Mit diesen Daten können wir auch auf die Art der Umgebung am Fundort schließen, d.h. offenes Grasland oder geschlossener Wald.

Insbesondere stabile Sauerstoff-Isotopendaten aus Pferdezähnen können verwendet werden, um die lokalen Klimabedingungen zu rekonstruieren, nämlich Temperatur und Niederschlagsmenge in dem Gebiet, in dem das Tier lebte. Das liegt daran, dass Pferde Wasser trinken müssen, anstatt es wie die meisten Tierarten aus den Pflanzen zu gewinnen, die sie fressen. Daher spiegeln ihre Sauerstoff-Isotopenwerte die der Gewässer wider, aus denen sie trinken, die wiederum überwiegend durch Niederschläge gespeist werden.

Darüber hinaus wende ich die Strontium-Isotopenanalyse auf seriell beprobten Zahnschmelz an. Hierbei wird eine Reihe von gleichmäßig verteilten Proben über die Länge des Zahns genommen. Da die Zähne schrittweise wachsen, können wir durch die Analyse der seriellen Proben saisonale Informationen über die Ernährung und das Wanderungsverhalten der Tiere erhalten. Die Strontium-Isotope in Knochen und Zähnen spiegeln die des darunter liegenden Gesteins in dem Gebiet wider, in dem das Individuum aufgewachsen ist. Mit Hilfe der Strontium-Isotopendaten können wir dann die Bewegungsmuster der Tiere betrachten und die Strategien untersuchen, die von verschiedenen Homininen zur Jagd der Tiere eingesetzt wurden.

Nachdem wir einen Blick in die Erforschung der Vergangenheit geworfen haben: Wie geht es für Sie weiter?

Ziel ist es zunächst die Probenahme zu beenden und dann die Erkenntnisse mit den Fachkolleg*innen und der Öffentlichkeit zu teilen. Nach Abschluss meiner Promotion möchte ich auf jeden Fall in diesem Forschungsgebiet weiterarbeiten. Ich hoffe, eine Postdoc-Stelle in Deutschland oder anderswo in Europa zu bekommen und weiter untersuchen zu können, wie die Welt, in der die paläolithischen Menschen lebten, ihr Verhalten prägte und welche Rolle dies in unserer Evolution spielte.

Phoebe Hedell-Stevens

Doktorandin - Abteilung für Archäologie

E-Mail heddellstevens@shh.mpg.de

Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte
Kahlaische Str. 10
07745 Jena

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