| Dr. Hansjörg Pötzsch

Zwischen Hornburg und Kamerun

Zum Tag der Provenienzforschung am 13. April 2022

Provenienzforschung heißt Fragen stellen. Grundfragen der Provenienzforschung sind Fragen nach dem ‚Woher‘ und nach dem ‚Wie gehen wir damit um‘. Vor dem Hintergrund dieser Fragen ist 2021 das umfangreiche naturkundliche Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten des Naturhistorischen Museums mit in das kooperative Provenienzforschungsprojekt der 3Landesmuseen Braunschweig einbezogen worden.

Das naturkundliche Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten des Naturhistorischen Museums stammt unter anderem aus Indonesien, Sri Lanka, Papua-Neuguinea, Togo, Tansania und Kamerun. Erste Recherchen richteten sich auf die naturkundlichen Objekte aus Kamerun. Dabei handelt es sich unter anderem um Insekten, Reptilien, Gehäuse von Muscheln und Schnecken, Vögel, Fische, Skelettteile und Pflanzen, die teils in der Schausammlung präsentiert und teils im Depot aufbewahrt werden. In Beantwortung der Frage nach dem ‚Woher‘ gehören zu den Vorbesitzern dieser Objekte unter anderem das Städtische Museum Braunschweig, das dem Naturhistorischen Museum im März 1899 einen Nilpferd-Stoßzahn schenkte, und der Plantagenbesitzer in Kamerun Heinrich Keese, aus dessen Besitz 1905 zwei Kammchamäleons erworben wurden.

 

Die Frage ‚Wie gehen wir damit um‘ bezieht Aspekte wie Erfassung, Dokumentation, Kontextualisierung, Präsentation, Transparenz und Dialog mit ein. Damit verbunden konnten Teile der Kamerun-Sammlung im August 2021 bereits einer Kameruner Wissenschaftlerin in der Schausammlung und im Depot präsentiert werden.

Im Herzog Anton Ulrich-Museum konzentrieren sich die Recherchen zurzeit auf die Druckgraphiken und Handzeichnungen des Kupferstichkabinetts, die vor 1945 hergestellt und nach 1945 erworben wurden. Neben den Erwerbungsunterlagen können Provenienzmerkmale wie Stempel, Aufkleber oder Aufschriften auf den Objekten Ansatzpunkte für Recherchen bieten. So weist der rote Sammlerstempel „LSD“ unten links auf der Handzeichnung „Figurenstudie eines sitzenden jungen Mannes mit Tasse und Gewehr; eine Kopf- und sieben Handstudien“ von Nicolas Lancret (1690-1743) auf den französischen Sammler Louis Deglatigny (1854-1936) als einen der Vorbesitzer hin. Die Handzeichnung wurde am 4./5. November 1937 auf einer Auktion im Pariser Hôtel Drouot aus dem Nachlass Deglatignys versteigert und vom Pariser Kunsthändler Alexandre Popoff (1885-1964) erworben.

Nach der Besetzung Frankreichs durch die Deutschen hat Popoff die Handzeichnung an die maßgeblich in den NS-Kulturgutraub verwickelte „Dienststelle Mühlmann“ veräußert. Diese wiederum lieferte die Handzeichnung zur Versteigerung auf der Auktion vom 20./21. Mai 1941 bei der Münchener Kunsthandlung Adolf Weinmüller ein. Dort erwarb sie der Herforder Sammler Max Graff (1882-1964). Aus dessen Nachlass (Deponat) kaufte das Herzog Anton Ulrich-Museum 2002 das Kunstwerk an. Vermutlich hat Popoff die Lancret-Handzeichnung durchgehend von 1937 bis 1941 besessen. Sollte dies jedoch nicht der Fall gewesen sein, könnte ein NS-verfolgungsbedingter Entzug nicht ausgeschlossen werden. Denn Popoff war wie die „Dienststelle Mühlmann“ in den NS-Kulturgutraub verwickelt. Ein kleines Fragezeichen bleibt also. Die Recherchen sind deshalb noch nicht abgeschlossen.

 

Das gilt auch mit Blick auf die Inneneinrichtung der Hornburger Synagoge im Braunschweigischen Landesmuseum. In diesem Fall geht es nicht um einen NS-Kulturgutraub. Die Inneneinrichtung der Hornburger Synagoge wurde bereits 1924/25 für das Vaterländische Museum (heute: Braunschweigisches Landesmuseum) erworben. Dennoch stellt sich auch hier die Frage nach dem ‚Woher‘. Denn die jüdische Gemeinde Hornburg existierte zum Zeitpunkt des Erwerbs nicht mehr. Von wem die Synagogeneinrichtung erworben wurde, bleibt unklar. Ein unterzeichneter Kaufvertrag oder ein entsprechendes Übertragungsprotokoll liegt nicht vor. Was bedeutet das für die Provenienz und die Eigentumsfrage damals und heute?

Dass die vom Verfall bedrohte überregional bedeutende barocke Inneneinrichtung der Hornburger Synagoge gerettet und vom Vaterländischen Museum – mit Unterstützung jüdischer Bürger des Landes Braunschweig – erworben werden konnte, ist maßgeblich seinem damaligen Direktor, Karl Steinacker (1872-1944), zu verdanken. Steinacker wollte nicht nur das Christentum durch herausragende regionale Zeugnisse im Museum vertreten sehen, sondern auch das Judentum. Mit der Erwerbung der Inneneinrichtung der Hornburger Synagoge legte Steinacker den Grundstein für den Aufbau einer Judaica-Abteilung innerhalb des Vaterländischen Museums. Jüdinnen und Juden im Land Braunschweig schenkten ihm ihr Vertrauen und überwiesen dem Museum noch bis 1933 zahlreiche Objekte. Umso mehr überrascht, dass sich in Steinackers am 21. Februar 1943 abgeschlossener, zwar unveröffentlichter, aber wohl für die Publikation vorgesehener Autobiographie bezogen auf einzelne Personen antijüdische Stereotype finden, die darauf schließen lassen, dass Steinacker offensichtlich nicht frei von antijüdischen Ressentiments war. Auch der Kontakt Steinackers zu Houston Stewart Chamberlain (1855-1927), einem der Wegbereiter des Nationalsozialismus, dessen Schriften auch Hitler beeinflussten, wirft Fragen auf.

Finden sich in Steinackers schriftlichem Nachlass weitere antijüdische Stereotype oder gar antisemitische Formulierungen? Wie stand Steinacker zum Judentum, zu den Jüdinnen und Juden in seiner Umgebung, und wie war sein Verhältnis zum Nationalsozialismus und zu den Nationalsozialisten? Wer war der Museumsdirektor, der Sammler und der Mensch Karl Steinacker, der der NSDAP nicht beitreten wollte und dessen Großvater Karl Steinacker (1801-1847) sich als liberaler Abgeordneter der Braunschweigischen Landesversammlung in Wort und Schrift für die vollständige Emanzipation der Juden eingesetzt hatte?

Um diese Fragen nachhaltig und fundiert beantworten zu können, sind weitere quellenkritische, vertiefende Recherchen in Steinackers umfangreichem schriftlichen Nachlass erforderlich, die über das bereits Bekannte* hinausgehen. Das Braunschweigische Landesmuseum wird sich dieser Aufgabe stellen und seine Recherchen zu Steinacker intensivieren.


*Vgl. Hansjörg Pötzsch: Von Damenunterwäsche bis Dix. Recherchen in heterogenen Beständen am Beispiel des Kooperationsprojekts „Sammlertum in Braunschweig“, in: Jochen Meiners (Hrsg.): NS-Kunstraub lokal und europäisch. Eine Zwischenbilanz der Provenienzforschung in Celle, Celle 2018, S. 167-169, 174-181, 184-186, insbes. S. 179, 181, 185.

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