"Sachsenforschung"

Wer sind die Sachsen?

Sachsen? Das sind nicht nur die Bürger*innen des Bundeslandes Sachsen. Es gibt auch die „alten“ Sachsen. Die kennen Sie vermutlich aus Ihren Schulbüchern: Sie sind die Bewohner*innen der Gebiete rechts des Rheins zwischen Nordsee, Elbe und Mittelgebirgen, in denen Karl der Große im 8. Jahrhundert seine legendären „Sachsenkriege“ geführt hat. Einhard († 840), der Biograf des fränkischen Königs, beschrieb sie als ein „wildes Volk“, dass es nicht für ehrlos hielt, „alle göttlichen und menschlichen Gesetze zu verletzen und zu übertreten.“ Diese frühmittelalterlichen Sachsen wurden zum Ziel der ersten Gewaltmission des Christentums. Karl unterwarf sie, aber schon bald triumphierten die „Wilden“: Mit Heinrich I. wurde 919 ein sächsischer Adliger zum König des ostfränkischen Reiches gewählt. Zur Zeit seiner Regentschaft und der seines Sohnes Otto, der sich 962 in Rom gar zum Kaiser krönen ließ, avancierten die Gebiete um den Harz zu einer Kernlandschaft des nunmehr ostfränkisch-deutschen Reiches.

Archäologische Forschung zur Landesgeschichte im 1. Jahrtausend

Die Erforschung der „alten“ Sachsen hat in Niedersachsen Tradition: Das Bundesland erstreckt sich geographisch im weiten Raum der frühmittelalterlichen „Saxonia“. Unser Wissen über die Lebenswirklichkeit, die Geschichte und die Herkunft der Bevölkerung, die damals dort ansässig war, basiert im Wesentlichen auf der wissenschaftlichen Ausdeutung von Bodenfunden und Bodendenkmälern aus dem 1. Jahrtausend. Hierzu gehört auch der berühmte Grabhügel von Klein-Vahlberg im Landkreis Wolfenbüttel, in dem um 600 n.Chr. Mitglieder einer mächtigen Familie beigesetzt worden sind.
 

Schon 1949, wenige Jahre nach der Gründung des Landes Niedersachsen, hatte in Cuxhaven ein kleiner Kreis von Archäologen das „Internationale Sachsensymposion“ ins Leben gerufen. Unter der Bezeichnung »Arbeitsgemeinschaft zur Archäologie der Sachsen und ihre Nachbarvölker in Nordwesteuropa (IVoE)« ist dieses Symposion heute eines der maßgeblichen wissenschaftlichen Foren für die Archäologie der frühen Geschichte Nordwesteuropas.  Aktuell gehören dem Fachverband mit Sitz in Belgien über 160 gewählte Archäolog*innen und Historiker*innen aus Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Großbritannien, den Niederlanden, Norwegen, Polen, Schweden und den USA an.
 

Eines der Gründungsmitglieder des „Internationalen Sachsensymposions“ war Albert Genrich (1912–1996). Er hat am Niedersächsischen Landesmuseum Hannover (NLMH), wo er bis 1977 tätig war, einen eigenständigen archäologischen Forschungsbereich zum ersten Jahrtausend in Niedersachsen etabliert. Die landesgeschichtlich ausgerichtete "Sachsenforschung" auf der Basis archäologischer Funde und Befunde wurde am NLMH von Hans-Jürgen Häßler (1939-2011) übernommen und bis 2004 fortgeführt. Seine Studien zu frühgeschichtlichen Bestattungsplätzen und Grabfunden in Niedersachsen haben der Forschung zum 1. Jahrtausend in Nordwesteuropa wesentliche Impulse verliehen. Mit der Publikationsreihe »Studien zur Sachsenforschung« schuf Häßler, der von 1996 bis 2002 auch Vorsitzender des »Internationalen Sachsensymposions« war, ein international anerkanntes Fachorgan zur Frühgeschichtsforschung in Europa.
 

Seit 2005 wird die „Sachsenforschung“  von Babette Ludowici (Schriftenverzeichnis) weitergeführt, zunächst am NLMH, ab 2017 am Braunschweigischen Landesmuseum (BLM). Die Archäologin gehört zu den Wegbereiterinnen einer modernen Betrachtungsweise archäologischer Quellen zur Erforschung der kontinental-sächsischen Identität. In einer umfassenden Studie zum Bestattungsbrauchtum des 1. Jahrtausends im Raum zwischen Harz und Aller konnte sie aufzeigen, dass die Vorstellung von einer frühen Besiedlung der späteren sächsischen „Königslandschaft Harz“ durch einen Stamm der Sachsen archäologisch nicht begründbar ist.
 

Die niedersächsische „Sachsenforschung“ am BLM erfolgt im Austausch mit Wissenschaftlern an vielen europäischen Museen und Universitäten und ist mit den Aktivitäten des „Internationalen Sachsensymposion“ eng verknüpft. Babette Ludowici ist Mitglied der Geschäftsführung des Verbandes und seit 2010 Herausgeberin der Reihe „Neuen Studien zur Sachsenforschung“, die Beiträge zu den Symposion veröffentlicht. Im Jahr 2019 war das BLM Gastgeber des 70. „Internationalen Sachsensymposions“.

Alte Sachsen - neue Fakten!

In Kooperation mit dem Niedersächsischen Landesmuseum Hannover hat das Braunschweigische Landesmuseum 2019 eine von Babette Ludowici kuratierte Sonderausstellung unter dem Titel „SAXONES – Das erste Jahrtausend in Niedersachsen“ gezeigt. Die Ausstellung führte moderne Perspektiven und aktuelle Erträge der Forschung zu den frühgeschichtlichen Sachsen zusammen und bündelte sie zu einer neuen Erzählung der Geschichte heute niedersächsischer und westfälischer Gebiete im 1. bis 10. Jahrhundert. Im Fokus stand dabei die Frage nach der Herausbildung von Identitäten. Die vielbeachtete Präsentation trug den Titel einer Landesausstellung und stand unter der Schirmherrschaft des Ministerpräsidenten des Landes Niedersachsen. Die als Handbuch konzipierte Begleitschrift zur Ausstellung erschien als Band 7 der „Neuen Studien zur Sachsenforschung“.
 

Eine komprimierte digitale  Version der Ausstellung ist dauerhaft online präsent: Die Website saxones-togo.de macht die Ausstellungserzählung mit Porträts historischer Akteur*innen und auf der Basis von Karten und ausgewählten Objekten mit vertiefenden Informationen nachvollziehbar. Sie ist in deutscher und englischer Sprache abrufbar.

Aktuelle Projekte

Der Hellweg in Ostfalen: Ein Korridor der Macht

In Planung ist derzeit ein Forschungsvorhaben zur Genese und Struktur der östlichen Hellwegzone als dominierender frühgeschichtlicher Verkehrs- und Wirtschaftsraum und überregionaler Kommunikationskorridor.

Publikationen

Seit 2017 erfolgt am BLM in Kooperation mit dem „Internationalen Sachsensymposion“ die Herausgabe der Schriftenreihe „Neue Studien zur Sachsenforschung“. Inhaltsverzeichnisse aller Bände finden Sie hier.

Die Bände der Reihe sind über das Museum zu beziehen.

Kontakt

Dr. Babette Ludowici

Leitung Archäologie

Braunschweigisches Landesmuseum
Kanzleistr. 3
38300 Wolfenbüttel