Der Welfenschatz – was ist das? Mit diesem märchenhaft anmutenden Begriff wird der ehemalige Kirchenschatz Braunschweiger der Stiftskirche St. Blasius, des Braunschweiger Domes also, seit langem bezeichnet.
Es handelt sich dabei um eine Sammlung von Reliquiaren und liturgisch zu verwendenden Werken, wie Büchern, Tragaltären und Monstranzen. Die frühesten Werke gehen auf die Gräfin Gertrud zurück und sind in die Mitte des 11. Jahrhunderts zu datieren: zwei auf das Kostbarste gestaltete Kreuze, einen ebensolchen Tragaltar und das mit purem Goldblech beschlagene Armreliquiar des Heiligen Blasius. Der bis zur Reformation stark angewachsene Kirchenschatz verlor durch die neue evangelische Lehre zunehmend an Bedeutung und wurde 1671 von den Herzögen Rudolph August und Anton Ulrich an ihren wiederum zum Katholizismus konvertierten Vetter Johann Friedrich (1625-1679) als Kompensation für Waffenhilfe bei der Eroberung der Stadt Braunschweig abgegeben. Neben einigen unbedeutenderen Stücken verblieb auch das Armreliquiar des Heiligen Blasius in der Stiftskirche, von wo es 1829 an das Herzogliche Museum abgegeben wurde. Das Armreliquiar vertritt seitdem den Welfenschatz weiterhin in Braunschweig und bildet den Mittelpunkt der Sammlung der mittelalterlichen Kunst im Herzog Anton Ulrich-Museum.
Der Welfenschatz ist in den 1930er Jahren verkauft worden, wobei etliche Werke in us-amerikanische Museen gelangten, darunter die weiteren drei Kostbarkeiten der Gräfin Gertrud, die sich in Cleveland befinden. Der Großteil wurde jedoch vom Preußischen Staat angekauft und wird seitdem im Kunstgewerbemuseum Berlin bewahrt und dort ausgestellt.
Der Welfenschatz ist bereits 1891 umfassend publiziert worden mit Kupferstichen von allen Werken, und 1930 erschien ein aufwendig gestalteter Katalog zum Verkauf, aber seitdem sind nur Teilbereiche in neueren Publikationen bearbeitet worden. Es ist also an der Zeit, mit neuen Forschungsansätzen und Untersuchungsmethoden, mit neuen Fragen nach Kontexten, Präsentationsformen und Objektgeschichten den Welfenschatz wieder umfassend in den Blick zu nehmen.
Dies geschieht in einer großen Kooperation unter der Federführung des Kunstgewerbemuseums in Berlin und unter Beteiligung von mehr als einem Dutzend Fachkolleg*innen aus dem In- und Ausland. Das Herzog Anton Ulrich-Museum in Braunschweig, das heute elf Werke des Welfenschatzes in seinen Sammlungen beherbergt, darunter auch zurückerworbene Stücke und Dauerleihgaben aus dem Dom, ist ein Kooperationspartner. Für diese neue Publikation werden erstmalig auch die verloren gegangenen Werke, die sich nachweisbar in der Stiftskirche in liturgischer Nutzung befunden haben, wie vor allem liturgische Bücher, mit aufgenommen; auch die zahlreich erhaltenen textilen Werke, also z. B. Beutel oder kleine Taschen, aber auch Stoff-Fragmente, die ursprünglich Gebeine der Heiligen bargen, werden eigens betrachtet und soweit wie möglich ihren Reliquiaren wieder zugeordnet. Die Schatzstücke des Braunschweiger Museums werden alle konservatorisch und restauratorisch untersucht und bearbeitet, neu fotografiert und kunstwissenschaftlich neu bearbeitet werden.
Reliquienmonstranz aus dem Welfenschatz, Niedersachsen, vor 1478
© Herzog Anton Ulrich-Museum, Kathrin Ulrich
Tierhorn (Büffel oder Ziege) mit Eisenkette, sog. Greifenklaue, Außereuropäisch (?), vor 1475
© Herzog Anton Ulrich-Museum, Kathrin Ulrich
Furniertes Kästchen mit Emailplatte, Sizilien oder Köln, 2. Hälfte 12. Jahrhundert
© Herzog Anton Ulrich-Museum, Kathrin Ulrich
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Herzog Anton Ulrich-Museum
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