Reformation konkret!

Der Weg der Idee Martin Luthers in Braunschweig und Region

Das Braunschweigische Landesmuseum und die Evangelische Akademie Abt Jerusalem in Braunschweig präsentieren vom 7. Mai bis zum 19. November 2017 mit „Im Aufbruch. Reformation 1517-1617“ einen Blick auf die bewegten ersten 100 Jahre der Reformation in Braunschweig und dem östlichen Niedersachsen.

In Kooperation mit der Evangelisch-lutherischen Landeskirche in Braunschweig und der Evangelisch lutherischen Landeskirche Hannovers entstand das größte Ausstellungsprojekt 2017 zu dem Thema in Niedersachsen.

Ganz nach dem Motto ‚Reformation konkret’ zeigt das Projekt die historische Umsetzung der Reformation in Braunschweig und der Region. Als Martin Luther seine berühmten 95 Thesen veröffentlichte, gab es natürlich keinen Masterplan der Reformation. Aber wie konnten sich neue Ideen und neue Sichtweisen durchsetzen? Welche Bedingungen verliehen ihnen eine solche Durchschlagskraft? Wer waren die Trendsetter? Was waren die Herausforderungen? Wo lag das Konfliktpotential und wer waren schlussendlich die Entscheider, die den Prozess von oben steuerten? Was musste passieren, damit Luthers Gedanken einen anderen Weg nahmen als die zahlreichen Versuche zuvor, die Kirche zu reformieren?

„Die Ausstellung mache deutlich“, so Ministerpräsident Stephan Weil, Schirmherr der Sonderausstellung, „welche geschichtlichen Umwälzungen von Luthers Wirken ausgegangen und die bis in unsere Gegenwart zu spüren sind und unser Verständnis von zentralen Themen wie Arbeit, Freiheit oder Unabhängigkeit mitgeprägt haben.“

Im Braunschweigischen Landesmuseum am Burgplatz beginnt die Zeitreise mit einem Blick auf die bewegte Zeit um 1500: die Angst vor dem Jüngsten Gericht und die Hoffnung auf Erlösung auf der einen, die Wiederentdeckung der Antike und die Begeisterung für die Wunder der neuen Welt auf der anderen Seite. Besucherinnen und Besucher können erleben, wie die Ideen Martin Luthers die politische Landkarte umgestalteten, welche Netzwerke sich entwickelten und wie die Braunschweiger Fürsten die Reformation von „oben“ durchsetzten, mit Kontrolle ihre Macht erweiterten und der neue Glauben den Alltag der Menschen veränderte. Am Ende des 16. Jahrhunderts war die Einheit des Mittelalters aufgebrochen. Man nahm die Vielfalt der Religionen hin, aber blieb unter sich und tolerierte sich gegenseitig nicht. Nur wenige Monate nach dem ersten Reformationsjubiläum 1617 eskalierten die Konflikte. Europa stürzte in ein Chaos von Glaubens-, Religions- und Staatenkriegen.
Die Sonderausstellung präsentiert an drei Standorten auf insgesamt 2500 m² neben rund 550 Objekten aus eigenen Sammlungen sowie Leihgaben von europäischen Museen, Archiven und Bibliotheken aus vier europäischen Ländern auch erstmals in großer Zahl historische Objekte und Zeugnisse aus 28 niedersächsischen Kirchengemeinden, Kirchenkreisen und Klöstern. Unter den Exponaten der 86 Leihgeber sind folgende Highlights:

Besonderer Stoff: Reliquie des sog. Salvatortüchleins, 8.-9. Jh., Leinen, Bad Gandersheim, Ev.-luth. Stiftskirchengemeinde Bad Gandersheim / Portal zur Geschichte – Sammlung Frauenstift Gandersheim
Die Tuchreliquie ist wohl schon im 9. Jahrhundert nach Gandersheim gelangt. Sie gehört zu den bedeutendsten Reliquien des Stifts und ist mit den anderen wichtigen frühmittelalterlichen Reliquientüchern in Rom, Aachen oder Kornelimünster zu vergleichen.
Ablassplakate als Altpapier: Summarium Bulle plenissime indulgentie pro Basilica Principis apostolorum – Zwei Fragmente, Leipzig: Melchior Lotter 1516, Goslar, Marktkirchenbibliothek
Ein Zufallsfund 2016, weil sich das Papier vom Einband ablöste: Die bisher einzigen bekannten Fragmente eines Plakats, mit dem die Reformation begann – als Altpapier entsorgt, als Einband in der Bibliothek des Priesters Andreas Gronewalt wiederverwendet. Der Papst verkündete für den Neubau des Petersdoms in Rom einen Ablass. Diesen soll Kardinal Albrecht als päpstlicher Beauftragter einwerben. Zur Förderung des Absatzes lässt Albrecht eine Zusammenfassung [Summarium] des Ablasstextes als Werbeplakat drucken.
Das Musterpaar: Bildnis des Martin Chemnitz und seiner Frau Anna, geb. Jäger Ludger tom Ring d. J., 1569, Münster, LWL-Museum für Kunst und Kultur, Westfälisches Landesmuseum und Leihgabe des Westfälischen Kunstvereins
Chemnitz ist Superintendent in Braunschweig. Und damit in greifbarer Nähe, als Herzog Julius 1568 an die Macht kommt. Der erfahrene Theologe organisiert die Reformation im Fürstentum Wolfenbüttel, inklusive Kirchenordnung und Universitätsgründung. Mit seiner Frau Anna hat er zehn Kinder.
Eiserner Landesherr: Feldküriss Herzog Heinrichs, Braunschweig (?), wohl 1545 Wien, Kunsthistorisches Museum – Hofjagd- und Rüstkammer
Herzog Heinrich trug den Küriss wohl 1545 in der Schlacht bei Kahlefeld, in der er von den protestantischen Gegnern festgenommen wurde. Seit 1593 befindet sich der Harnisch in der Heldenrüstkammer der berühmtesten Feldherren des 16. Jahrhundert in der erzherzoglichen Sammlung auf Schloss Ambrass in Österreich. Auf der Brust eine Inschrift (Herr, meine Zeit liegt in deinen Händen, errette mich vor denen, die mich verfolgen), darunter eine kniende Figur vor dem Gekreuzigten. Der Halbharnisch Heinrich des Jüngeren von Braunschweig-Wolfenbüttel ist erstmals seit 400 Jahren wieder gepaart mit seinem Pferdeharnisch (Braunschweigisches Landesmuseum) zu sehen.
„Protestsongs“: das älteste protestantische Gesangbuch, das sog. Enchiridion von 1524, Goslar, Marktkirchenbibliothek
Das Singen von Liedern – schnell wird es zur lutherischen Protestform. Die Druckerei zum Ferbefaß in Erfurt erkennt das Potential des neuen Mediums – und druckt das erste Gesangbuch. Ohne Wissen und Zustimmung der Autoren. Dieser unscheinbare Band ist das einzig erhaltene Exemplar, überliefert in der Bibliothek des katholischen Geistlichen Andreas Gronewalt.
Theologische Leitlinie einer gebildeten Fürstin: „Confessio Augustana“ mit dem Bildnis der Elisabeth von Calenberg, Wittenberg 1540, aus dem Besitz der Herzogin, Hannover, Klosterkammer
Die zentrale Bekenntnisschrift der Reformation: Warum ist die Reform der Kirche unerlässlich? Überreicht dem Kaiser in Augsburg 1530. Die Besitzerin der Schrift gibt sich auf dem aufwändig gestalteten Einband zu erkennen, eingerahmt von weiblichen Figuren: der Personifikationen der Gerechtigkeit (Justizia) und des Sich-Bekehrens (Revertere) sowie den Darstellungen der Lea (Idealbild der Mutter und des aktiven Lebens) und der Lucrezia (Sinnbild der weiblichen Tugend) – ein Fürstinnenprogramm im Kleinen.
Spanisches Jerusalem: Ansicht von Toledo, Johannes Maior, 1. H. 16. Jh., Braunschweig, Braunschweigisches Landesmuseum
Juden, Christen und Muslime – in Toledo leben sie seit dem 8. Jahrhundert relativ friedlich zusammen. Die Stadt blüht auf, wird Zentrum der Übersetzer. Antikes und islamisches Wissen werden hier bewahrt. Unter Karl V. ist Toledo Hauptstadt Spaniens.

„Die zahlreichen Leihgaben aus Niedersachsen ermöglichen erstmals eine so umfassende Darstellung des 16. Jahrhunderts im ehemaligen welfischen Herrschaftsgebietes von Göttingen über Wolfenbüttel bis Lüneburg, von Hannover nach Goslar im Rahmen einer Sonderausstellung“, beschreibt Dr. Heike Pöppelmann, Museumsdirektorin des Braunschweigischen Landesmuseums, das Projekt.

„Im Aufbruch. Reformation 1517-1617“ folgt in der Konzeption den Schritten, die das Ausstellungsteam für den gesellschaftlichen und politischen Umbruch der Reformation identifiziert hat: eine Idee entsteht und wird verbreitet, die damit verbundenen Optionen sorgen für Unruhe, um die Lage zu beruhigen entscheiden sich die Machthaber, die neuen Ideen umzusetzen und schlussendlich werden die Neuerungen zur Gewohnheit und durchdringen alle Lebensbereiche.
Neben der Hauptausstellung im Braunschweigischen Landesmuseum stehen zudem noch zwei authentische Orte der Reformation in Braunschweig im Fokus: Das ehemalige Klostergebäude St. Aegidien war Anfang des 16. Jahrhunderts die Wirkungsstätte des Benediktinermönchs Gottschalk Kruse, der als einer der ersten in Braunschweig für die Ideen Martin Luthers öffentlich eintrat. Sein Werdegang und die Entwicklung des historischen Klostergebäudes St. Aegidien zeigen auf, welche Auswirkungen die Reformation auf das Kloster und Kruse selbst hatte.
Ein Ausstellungshighlight in Hinter Aegidien ist die nach 1465 verfasste Handschrift Bertold Meiers, die die Legenden und Geschichten aus St. Aegidien erzählt. Vermutlich wurde die in Mitteldeutsch verfasste Handschrift dem Braunschweiger Rat geschenkt, nachdem er 1456 einen silbernen Reliquienschrein für die Gebeine des Hl. Auctor in St. Aegidien gestiftet hatte. Die Handschrift ist erstmals seit 1995 in Braunschweig ausgestellt.
In der ehemaligen Franziskanerkirche St. Ulrici-Brüdern in Braunschweig steht mit Johannes Bugenhagen der Verfasser der ersten Lutherischen Kirchenordnung im Zentrum. Von Mai bis September 1528 verfasste der Wegbegleiter Martin Luthers hier eine Ordnung, die zur Vorlage weiterer Reformationen in Norddeutschland und Skandinavien wurde. „Am authentischen Wirkungsort eines der Begründer der Reformation in Braunschweig wird Geschichte lebendig. Besucherinnen und Besucher können hier den von Bugenhagen 1528 eingeleiteten Wandel einer Franziskanerkirche zu einer lutherischen Stadt- und Pfarrkirche nachvollziehen“, so Dieter Rammler, Direktor der Evangelischen Akademie Abt Jerusalem. Erstmals seit den Umbauten zwischen 1861 und 1865 sind ein Teil der 63 Emporenbilder des 16. Jahrhunderts wieder am Ursprungsort zu sehen. Die Ausmalungen der Emporen wurden zwischen 1596 und 1598 durch die Maler Floris van der Mürtel, Hans Geitel und Reinhart Roggen geschaffen und zeigen Geschichten des Alten und Neuen Testaments.

Für junge Weltentdecker – Das Kindermuseum zur Sonderausstellung
Mit einem eigenen Ausstellungsbereich richtet sich das Braunschweigische Landesmuseum an junge Museumsbesucher:
Das eigens im Rahmen der Sonderausstellung eingerichtete Kindermuseum macht die Welt des 16. Jahrhunderts für Kinder ab 4 Jahren erlebbar. Ausgangspunkt für die Entdeckungstour ist die Stadt im 16. Jahrhundert mit Werkstätten und Marktplatz. Ein Schiffsbau lässt die Zeit der großen Weltentdecker Christoph Kolumbus und Ferdinand Magellan lebendig werden. Spielstationen, eine Druckwerkstatt oder auch das Atelier Lucas Cranach laden zum Ausprobieren und Entdecken ein.