Wann ist ein Held ein Held?

Der Schwarze Herzog 1815/2015

Neues Ausstellungsprojekt des Braunschweigischen Landesmuseums blickt hinter die Fassade des Braunschweigischen Freiheitshelden und auf das gegenwärtige Heldenbild im 21. Jahrhundert

Den 200. Jahrestag der Schlachten von Quatre-Bras und Waterloo im Juni 1815 nimmt das Braunschweigische Landesmuseum zum Anlass für die neueste Sonderausstellung „Wann ist ein Held ein Held? Der Schwarze Herzog 1815/2015“, die vom 22. Mai bis zum 18. Oktober 2015 am Burgplatz präsentiert wird. Im Zentrum steht der als „Schwarzer Herzog“ in die Geschichte eingegangene Braunschweigische Regent Friedrich Wilhelm von Braunschweig-Wolfenbüttel-Oels, an dessen Beispiel das Museum die Entwicklung von Heldenbegriff und Heldenbildern zwischen 1815 und der Gegenwart betrachtet.

Zunächst stellt die Ausstellung die historische Person Friedrich Wilhelm (1771-1815) vor. Am Anfang steht die Uniform des Schwarzen Herzogs, die erstmals nach ihrer aufwendigen Restaurierung in Einzelteilen zu sehen ist. Unter anderem wurde das zugenähte Einschussloch an der Weste wieder geöffnet. Diese Präsentation ist ein Element in der Dekonstruktion des Heldenbildes, die durch einzelne Schlaglichter auf bestimmte Lebenssituationen des Herzogs akzentuiert wird.
Geboren wurde der spätere „Schwarze Herzog“ 1771 als vierter Sohn des regierenden Herzogs Carl Wilhelm Ferdinand, mit drei älteren Brüdern scheinbar ohne Aussicht auf den Thron, weshalb er auf eine militärische Karriere vorbereitet wurde. Aufgrund des Todes des ältesten Bruders und gesundheitlicher Einschränkungen der zwei weiteren Brüder wurde er nach dem Tod des Vaters 1806 dennoch Regent des Fürstentums Braunschweig – zumindest auf dem Papier. Denn das Fürstentum war von Napoleon inzwischen dem neu gegründeten Königreich Westphalen zugeschlagen worden. Friedrich Wilhelm verbündete sich mit verschiedenen europäischen Mächten, die wiederholt versuchten, Napoleon in die Schranken zu weisen – lange jedoch ohne Erfolg. Im Jahr 1809 legte er mit dem Zug seines Freikorps an Braunschweig vorbei bis zur Nordseeküste den Grundstein für seine spätere Verehrung als Freiheitsheld. Die 2.000 Soldaten des Freikorps trugen schwarze Uniformen und ein Totenkopf-Emblem am Tschako, der damals weit verbreiteten Kopfbedeckung unter den Soldaten - die Uniformierung, die ihren Ruf als „Schwarze Schar“ manifestierte. Von 1809 bis 1813 harrte Friedrich Wilhelm, ein enger Verwandter des britischen Königs George III., im Exil in London aus. Nach dem (ersten) Sieg der europäischen Mächte über das napoleonische Frankreich in der Völkerschlacht bei Leipzig kehrte Friedrich Wilhelm Ende 1813 in sein Herzogtum zurück, das auf dem Wiener Kongress in den Grenzen von 1806 bestätigt wurde. Als Napoleon 1815 aus seinem Exil auf Elba zurückkehrte, zog Friedrich Wilhelm an der Seite der europäischen Großmächte mit seinen braunschweigischen Truppen in den Kampf und fiel, zwei Tage vor der Schlacht von Waterloo, am 16. Juni 1815 in der Schlacht von Quatre-Bras.

Vor dem Hintergrund des historischen Geschehens und Friedrich Wilhelms Biographie widmet sich der zweite Teil der Ausstellung der Heroisierung des bis Anfang des 20. Jahrhunderts als Freiheitshelden verehrten „Schwarzen Herzogs“.
Auf dem Höhepunkt der Verehrung initiierten Braunschweiger Bürger im Juni 1890 die Sonderausstellung “Vaterländische Erinnerungen“ aus Anlass der 75-jährigen Erinnerung an die Ereignisse von Quatre-Bras und Waterloo. Die damalige Ausstellung war so erfolgreich, dass ein Jahr später das Vaterländische Museum, heute Braunschweigisches Landesmuseum, gegründet wurde. Zahlreiche Objekte, die Leben und Wirken des Schwarzen Herzogs dokumentieren, zählen zu den bedeutendsten Beständen des Landesmuseums.
Ausgehend von der Figur Herzog Friedrich Wilhelms wird die Entwicklung des Heldenbildes bis in das 21. Jahrhundert hinein thematisiert. Welche kulturellen, historischen, sozialen und medialen Prägungen haben zu seinem Mythos im 19. Jahrhundert geführt? Kein Held entsteht ohne sein Publikum. Wie beurteilten also die Zeitgenossen den Herzog? Wie hat sich der Mythos zum Schwarzen Herzog im 20. Jahrhundert entwickelt? Hat er gegenwärtig noch eine Bedeutung? Wieso sind die zahlreichen Denkmäler in der braunschweigischen Region und die Person des Herzogs heute fast vergessen? Wer sind unsere Helden heute? Wie und warum wandelt sich das Heldenbild?
Die Reiterbilder vor dem Braunschweiger Schloss sind zum Treffpunkt geworden, doch nur die wenigsten wissen, unter welchem Denkmal man sich verabredet. Eine nach Friedrich Wilhelm benannte Biersorte hat einen deutlich höheren Bekanntheitsgrad: 200 Jahre Schwarzer Herzog – Held oder Bier!?

Dass die Zeit des 19. Jahrhunderts, Napoleon und die Befreiungskriege auch im 21. Jahrhundert noch faszinieren, veranschaulichen partizipative Elemente in der Ausstellung: Reenactor-Gruppen, die einen Teil zur lebendigen Geschichtsvermittlung beitragen und die recht unbekannte Szene der Table-Top Spieler sind in der Ausstellung vertreten. Unter anderem kann die Schlacht bei Quatre Bras auf einem detailliert nachgestellten Table-Top nachvollzogen werden.

Das Begleitprogramm widmet seinen Schwerpunkt dem Nachleben Herzog Friedrich Wilhelms vom 19. bis ins 21. Jahrhundert und dem Thema der Erinnerungskultur.

Das Gesamtprojekt des Landesmuseums umfasst nicht nur die Ausstellung, sondern wurde durch eine intensive Zusammenarbeit mit der Ostfalia Hochschule und zwei Graffitikünstlern erweitert. Studentinnen und Studenten erarbeiteten Social Media Projekte, die sich mit dem Heldenbegriff im 21. Jahrhundert auseinandersetzen. Das im Rahmen der Ausstellung entstandene Graffiti von Abor und Druk, das für die Ausstellungsdauer auf einer Größe von 7 x 5 m im Forum des Museums zu sehen sein wird, zeigt einen Blick von jungen Menschen auf ein historisches und braunschweigisches Thema.

Das Ausstellungsprojekt konnte durch die Förderung des Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur und der Stiftung Braunschweiger Kulturbesitz realisiert werden. Die vorbereitenden Restaurierungsmaßnahmen für die ausgestellten Objekte im Umfang von 30.000 € wurden durch einen größeren Betrag des Vereines zur Förderung des Braunschweigischen Landesmuseums e.V. und durch Herrn Wolf Horenburg ermöglicht.