Rätselhafte Aquatinta-Radierungen von Francisco de Goya entführen in eine Welt zwischen Fantasie, Albtraum und Wirklichkeit
Dramatische Kompositionen entfalten sich vor Hintergründen kosmischer Düsternis – Francisco de Goyas (1746–1828) Radierungen des Zyklus Los Disparates gleichen einem magischen Labyrinth, das Betrachtende unwiderruflich in seinen Bann zieht. Der spanische Künstler schuf die rätselhaften und epochemachenden Bilder zwischen 1815 und 1824. Sie gelten als Höhepunkt seines Gesamtwerkes und der Geschichte graphischer Kunst überhaupt. Vom 26. April bis 04. August 2024 zeigt das Herzog Anton Ulrich-Museum im jüngst eröffneten Raum „Kunst auf Papier“ die 22 Aquatinta-Radierungen in der Sonderausstellung „Goya. Im Labyrinth der Unvernunft – Der Zyklus Los Disparates“.
Im Mittelpunkt der Ausstellung steht die erst nach dem Tod des Künstlers als Los Proverbios veröffentlichte Ausgabe von 1864 und weitere im Jahr 1877 publizierte Blätter der Folge. Ergänzend zeigt das Museum einen seltenen Probedruck sowie Beispiele aus Goyas vorherigen Radierzyklen.
In den Radierungen dieses Zyklus beschwört Goya die Vision einer der Unvernunft verfallenen Welt und konfrontiert mit aufwühlenden existentiellen Wahrheiten. Angesiedelt zwischen bitterer Komik und krasser Grausamkeit, bilden fließende Gegensätze von Mensch und Tier, Fesselung und Tanz oder Maskerade und Enthüllung Leitmotive der Folge. Nicht zuletzt geht es um toxische Geschlechterverhältnisse. Zu Lebzeiten Goyas war an eine Veröffentlichung der Darstellungen angesichts der künstlerischen und kritischen Gewagtheit nicht zu denken. Erst 1864 gab die Madrider Akademie unter dem frei gewählten Titel Los Proverbios (dt. Sprichwörter) eine erste gedruckte Auflage heraus.
Goya wurde 1746 bei Saragossa geboren. In Madrid stieg er bis zum Mitglied der königlichen Akademie auf und diente drei Königen als Hofmaler. Seit 1793 vollkommen ertaubt, löste er sich zunehmend aus offiziellen Verpflichtungen und entfaltet eine ungekannte und ungebundene Bilderwelt in vier graphischen Zyklen: Caprichos (1799), Desastres de la Guerra (1810–1816), Tauromaquia (1815–1816) und schließlich Disparates. Vor der Bedrohung durch das reaktionäre Regime von Ferdinand VII. wich Goya 1824 ins Exil nach Bordeaux aus, wo er 1828 starb.
Thomas Döring, Leiter des Kupferstichkabinetts des Herzog Anton Ulrich-Museums über die Wirkmacht von Goyas graphischem Zyklus: „In den Disparates eröffnet Goya der Kunst ganz neue Perspektiven, setzt bis heute mächtig wirkende Impulse: Er erschafft Bilder, die zugleich prägnant und vieldeutig sind, die sich einem vernunftmäßigen und sprachlichen Verständnis weitgehend entziehen. Und er findet für die graphische Realisierung seiner Visionen die ideale graphische Technik.“
In enger Zusammenarbeit mit der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig, Werkstatt Radierung, präsentiert die Ausstellung überdies einen Einblick in die faszinierende Welt der Aquatinta-Radierung, eine Technik, die in den 1760er Jahren in Frankreich entwickelt wurde und von Goya mit Leidenschaft genutzt wurde. Dabei wird nicht nur die Technik selbst veranschaulicht, sondern auch Goyas bedeutsame Rolle als Inspirationsquelle für zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler hervorgehoben.