Jugendstil-Windfang aus Wolfenbüttel aufwändig restauriert

Vorbereitung für die Ausstellung "Göttinnen des Jugendstils"

Für eine deutsch-niederländische Ausstellungs-Kooperation wurde der Eingang des ehemaligen Fotoateliers Herbst neu in Szene gesetzt.

Ein ehemaliger Hauseingang aus Wolfenbüttel geht auf Tour durch Deutschland und die Niederlande und erzählt vom Frauenbild aus der Zeit des Jugendstils: Ein Windfang, der 1978 vom Team des Braunschweigischen Landesmuseums kurzfristig vor der Zerstörung gerettet werden und dank der Förderung der Ernst von Siemens Kunststiftung in den letzten sechs Monaten von spezialisierten Restauratoren in Bremen und in Braunschweig aufwändig restauriert werden konnte, ist ab Oktober 2020 ein zentrales Ausstellungsobjekt in der Sonderausstellung „Göttinnen des Jugendstils“. Das Projekt wurde in einer deutsch niederländischen Kooperation gemeinsam vom Braunschweigischen Landesmuseum, dem Badischen Landesmuseum in Karlsruhe und dem Allard Pierson Museum der Universiteit van Amsterdam realisiert. Erste Station der Sonderausstellung ist ab Oktober 2020 das Allard Pierson Museum in Amsterdam, 2021 ist sie in Karlsruhe zu sehen und in Braunschweig gastiert die Ausstellung ab Herbst 2022 am Standort Hinter Aegidien.

Ursprung und Geschichte des Windfangs

Der Windfang mit Jugendstilmotiven schmückte ursprünglich den Eingangsbereich eines Geschäftshauses in Wolfenbüttel, mit dem der Berufsfotograf und Hauseigentümer Adolf Herbst für seine um 1900 neu eingerichteten und modernen Atelier- und Geschäftsräume warb. Herbst, ein selbstständiger Fotograf mit langjähriger Berufserfahrung, hatte beträchtliche Investitionen für die Um- und Ausbauarbeiten getätigt. Mit dem Jugendstil-Dekor, der sich ausdrücklich als „style moderne“ verstand, setzte Herbst vitale Akzente. Bei geöffneter Eingangstür hob sich seine neue „Kunst-Anstalt für moderne Photographie“ deutlich von den anderen Hauseingängen Wolfenbüttels ab. Die Ausführung des Dekors hatte mit Heinrich Kindervater ein lokaler Künstler aus Wolfenbüttel übernommen, wie seine Signatur ausweist. Vorlagen, die als Anregung für seine Arbeit gedient haben könnten, sind bisher nicht bekannt. Kindervater, der einer Künstler- und Handwerkerfamilie entstammte, hatte als Malermeister das traditionsreiche Familiengeschäft übernommen. Unter seiner Leitung warb der Betrieb auch für aufwändigere Arbeiten mit künstlerischem Anspruch wie „Zimmer-, Haus- und Dekorationsmalerei.“ Dies dürfte ihn in den Augen Herbsts für die Ausgestaltung des Windfangs empfohlen haben, dessen Raummaße mit einer Gesamthöhe von ca. 4,15 m eindrucksvoll die beabsichtigte Wirkung unterstrichen, um die Kundschaft bereits beim Betreten des Geschäftshauses auf die Atmosphäre eines modernen Fotoateliers einzustimmen.

Ladenlokal und Atelier wurden 1912 schließlich von dem Fotografen Curt Oberst weitergeführt. Das Dekor und die Raumsituation blieben in wesentlichen Teilen bis ins Jahr 1978 unverändert erhalten und konnten kurz vor dem Abriss von Mitarbeitern des Braunschweigischen Landesmuseums als bedeutendes Zeitzeugnis für den Jugendstil im Braunschweiger Land geborgen werden. Im Jahr 1989 wurden Elemente des ehemaligen Windfangs und des Fotostudios in die neu entstehende Dauerausstellung integriert. Im Rahmen der damals gewählten funktionalen Inszenierung wurden die ursprünglich getrennten Raumsituationen von Windfang und Atelierraum zu einem gemeinsamen Ensemble verschmolzen und nur in Teilstücken genutzt, während andere Teile im Depot verblieben. Für die Sonderausstellung „Göttinnen des Jugendstils“ und die spätere Weiternutzung in der neu zu konzipierenden Dauerausstellung des Braunschweigischen Landesmuseums wird der Windfang nun erstmals nach über vier Jahrzehnten wieder im Originalzustand rekonstruiert.

Restaurierung und Rekonstruktion in 3D

Die Restaurierung der verschiedenen Elemente, aus denen sich der Windfang zusammensetzt, erfolgte von Fach-Restauratoren in Bremen und Braunschweig. Erklärtes Ziel der Maßnahme war neben der fachgerechten Restaurierung der Holzelemente wie Türen und Vertäfelungen sowie der Gemälde auch die Rekonstruktion der Raumsituation, sprich des 3D-Erlebnisses des ursprünglichen Windfangs. Dafür erstellte die Bremer Restaurierungs-Firma Kossann und Melching eine neue Unterkonstruktion, eine Art Holz-Korsett, die den Elementen des Windfangs als freistehende Präsentationshilfe dient und innerhalb von zwei Tagen auf- bzw. abgebaut werden kann. Den letzten Feinschliff erhält die Konstruktion zur Zeit im Braunschweigischen Landesmuseum, wo die in Bremen restaurierten Türen und Vertäfelungen mitsamt neuem „Korsett“ mit den in Braunschweig restaurierten Gemälden zusammengeführt werden.

Ab Oktober 2020 wird der Wolfenbütteler Windfang dann erstmals in Amsterdam wieder ausgestellt, wo er mit seinen auf den Wandpaneelen dargestellten anmutigen Frauengestalten als Eingangs-Inszenierung Besucher*innen in die idealisierte Sehnsuchtswelt des Jugendstils entführt, die der gesellschaftlichen Realität Harmonie und Idylle entgegensetzte.