| Dr. Cathrin Hühne

Gips – ein Gestein mit Widersprüchen

Gestein des Jahres 2022

Vom Berufsverband Deutscher Geowissenschaftler (BDG) wurde Gips zum Gestein des Jahres 2022 gewählt. Gips ist eigentlich ein Mineral, welches tafelige, prismatische oder nadelige Kristalle sowie optisch ansprechende Wüstenrosen ausbildet.

Doch das wasserhaltige Calciumsulfat (chem. Formel: Ca[SO4] x 2H2O) bildet zudem monomineralische Gesteine. Das sind Gesteine, die vorwiegend aus einer einzigen Mineralart bestehen. Häufig kommt Gips zusammen mit Anhydrit (chem. Formel: CaSO4) vor, ebenfalls ein Calciumsulfat, das allerdings im Gegensatz zum Gips kein Kristallwasser enthält (griech. anhydros = „ohne Wasser“).

Gips entsteht u.a. durch Auskristallisation aus mineralübersättigtem Meerwasser. In ariden Gebieten mit hohen Verdunstungsraten kommt es in abgeschnürten Meeresbecken zu Ausfällungsprozessen, in deren Folge zunächst Karbonate (z.B. Calcit), Sulfate (z.B. Gips / Anhydrit) und anschließend Chloride (z. B. Steinsalz) aus dem Meerwasser ausgefällt und abgelagert werden. Der zunächst weiche Mineralschlamm wird mit der Zeit zu Gestein verfestigt. Gesteine, die durch Verdunstung entstehen, werden Evaporite (Eindampfungsgesteine) genannt. In Niedersachsen, z. B. im Südharz, wurde Gips- und Anhydritstein insbesondere zur Zeit des Zechsteins vor etwa 258–250 Millionen Jahren gebildet.

Das oberflächennahe Vorkommen des wasserlöslichen Gipses im Bereich des Harzes ist Segen und Fluch zugleich. Zum einen hat sich eine einzigartige Gipskarstlandschaft mit einer artenreichen Flora und Fauna ausgebildet, die sich von Niedersachsen bis nach Sachsen-Anhalt erstreckt. Sie ist mit 100 km Länge und 3 km Breite die größte Gipskarstlandschaft Mitteleuropas.

Zum anderen birgt die Wasserlöslichkeit des Gipses auch eine Gefahr. Erst im Juni 2022 kam es in Seesen zu einem Erdfall. Auf einer Fläche von ca. 35 mal 26 Metern brach plötzlich die Erde ein. Wahrscheinlich wurde der Gips im Untergrund durch Grundwasser weggelöst, sodass sich unterirdisch ein großer Hohlraum gebildet hat. Dieser Vorgang wird Subrosion genannt. Das darüberliegende Erdreich sackte bis zu 5 Metern ein.

Gipsgestein ist zudem ein wichtiger und vor allem vielseitiger Roh- und Werkstoff. Insbesondere als Baustoff, in der Medizin und Kunst oder in der Porzellan- und Keramikproduktion findet er Verwendung. Kinder schätzen Gips als Malkreide. Das Grabungsteam des Staatlichen Naturhistorischen Museums sicherte 2008 mit Gips die Fossilfunde aus Niger für den Transport und die anschließende paläontologische Präparation.

Die mikrokristalline, also die sehr feinkörnige Varietät des Gipses ist gemeinhin als Alabaster bekannt.

Alabaster ist ein wertvoller Dekor- und Bildhauerstein, welcher, ähnlich wie Marmor, für die Anfertigung von Figuren und Skulpturen sowie für Bauteile und Innendekorarbeiten eingesetzt wurde.
 

Die Gipsablagerungen des Zechsteins in Niedersachsen haben abbauwürdige Mächtigkeiten. Doch Gips wird nicht nur aus natürlichen Ressourcen gewonnen, sondern entsteht auch in Rauchgasentschwefelungsanlagen (= REA-Gips) von Kohlekraftwerken. Dieses Verfahren bietet reichlich Zündstoff zwischen Natur- und Landschaftsschützer*innen und der Gipsabbau-Industrie. Denn um zukünftig den Rückgang der Gipsproduktion auffangen zu können, der mit der Einstellung von Kohlekraftwerken einhergeht, müsste vermehrt Naturgips abgebaut werden.

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