| Dr. Sarah Babin

Morbide Selbstbildnisse

O schaurig ist's übers Moor zu gehn,
Wenn es wimmelt vom Heiderauche,
Sich wie Phantome die Dünste drehn
Und die Ranke häkelt am Strauche,
Unter jedem Tritte ein Quellchen springt,
Wenn aus der Spalte es zischt und singt! –
O schaurig ist's übers Moor zu gehn,
Wenn das Röhricht knistert im Hauche!1


Wer kennt sie nicht, diese erste Strophe des berühmten Gedichtes "Der Knabe im Moor" von Annette von Droste-Hülshoff (1797-1848). Bei so manchem Spaziergang in dieser herbstlichen Jahreszeit mag sie einem ins Gedächtnis fallen und stimmt dabei grandios ein auf das kommende Halloween-Fest oder die Nacht vor dem christlichen Hochfest Allerheiligen.

Wie bringt man dies nun mit unserer weltberühmten Kunstsammlung zusammen? Ganz einfach: In unserer Sammlung von Selbstbildnissen schlummern so einige Werke von Künstler*innen, die sich morbide inszenieren. Vielleicht findet der ein oder andere hier ja auch noch eine Inspiration zu einem Kostüm…
 

Wir beginnen mit einer der eindrucksvollsten morbiden Darstellungen unserer graphischen Sammlung, die von dem skandinavischen Künstler Edvard Munch geschaffen wurde. Vor einem schwarzen Hintergrund sitzt der schwarz gekleidete Künstler und blickt den Betrachter frontal an. Sein gespenstisch weiß Gesicht schwebt vor dem dunklen Hintergrund. Der Blick durchdringend, ernst und unnahbar. Sein linker Arm liegt am unter Bildrand ist ab dem Ellenbogen völlig skelettiert. Den oberen Bildabschluß bildet ein weißes Schriftbild mit Signatur und Datierung. Munch präsentiert sich hier als Wesen zwischen Leben und Tod.

Diese Nähe zum Tod, die Munch hier symbolisch darstellt, bestimmte sein Leben. Der Hintergrund des Selbstbildnisses ist düster. Edvard Munch war physisch und psychisch sehr labil. Seine Lebensgeschichte ist von Krankheit und Tod geprägt. Die Mutter stirbt sehr früh an Tuberkulose, später stirbt auch seine Schwester an dieser Krankheit. Sechs Jahre vor Entstehung dieses ersten grafischen Selbstbildnisses stirbt auch der Vater, eine weitere Lebenskrise folgt. Der Tod war eine Konstante in seinem Leben, ebenso wie psychische Krankheiten. Eine weitere Schwester war wegen Depressionen in Behandlung. Bei ihm selbst wurden posthum ebenso psychische Erkrankungen diagnostiziert. Betrachtet man seine Selbstbildnisse so erscheinen sie wenig glücklich. Anspielung an Tod und Krankheit finden sich häufig.

Die Auseinandersetzung der Künstler*innen mit dem Tod hat eine lange Tradition. Man denke hier etwa an individuelle Selbstbildnisse, die sich mit der eigenen Endlichkeit auseinandersetzen. Oder auch an Darstellungen aus den sogenannten spätmittelalterlichen Todestänzen, die sich mit der Berufsgruppe und deren Leben und Sterben beschäftigen. Ein sehr frühes Selbstbildnis im Kontext Tod ist das Selbstbildnis des Jacob Binck.

Leicht verklärt blickt der Künstler nach links oben aus dem Blatt heraus. Er trägt einen lebensgroßen Totenkopf als Anhänger an einer Kette, einen aufgrund seiner Größe doch eher ungewöhnlichen Schmuck. Totenköpfe sind traditionell Sinnbilder der Vergänglichkeit, der Vanitas. Auf dem Schädel sitzt eine Fliege, ebenfalls seit der Renaissance Symbol der Vergänglichkeit. Der mit einer Flüssigkeit gefüllte Krug oder eine Tassa kann als Symbol der Trinksucht verstanden werden. Mahnt er die eigene Trunkenheit an?

Auch der deutsche Impressionist Lovis Corinth (1858-1925) setzte sich in einigen seiner Selbstbildnisse mit dem Thema Tod auseinander. Vier solch schauriger Inszenierung besitzt das Herzog Anton Ulrich-Museum.
 

Sein Selbstbildnis Künstler und Tod greift die Tradition der Totentänze wieder auf.
 

Die Radierung in heftigen, emotionalen Schraffuren zeigt den Künstler ca. fünf Jahre vor seinem Tod. Einige Jahre zuvor hatte er einen Schlaganfall erlitten. So erscheint das Skelett im Bildhintergrund, das dem Künstler beim Zeichnen die Hand auf die Schulter legt, als Todesbote. Seine Zeit ist abgelaufen, der Tod kommt um ihn abzuholen. Der furchteinflößende Eindruck der Szene wird verstärkt durch die übergroßen Augen des Künstlers, der uns eindringlich aus dem Blatt heraus fixiert und sich seiner hoffnungslosen Lage bewusst ist. Zudem ist der Knochenmann nur angedeutet und wirkt somit gespenstisch übernatürlich.

Memento Mori, gedenke des Todes! Dieses Erinnern ist allen diesen Selbstbildnissen gemein. 

Mit diesen schaurigen schönen Selbstbildnissen entlassen wir euch nun in die Nacht der Geister: Gute Nacht da draußen!

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