Braunschweig und die Kunstwelt sind um ein Meisterwerk aus der Brueghel-Werkstatt reicher: nach mehrjähriger intensiver Bearbeitung kann das Herzog Anton Ulrich-Museum die erfolgreiche Restaurierung einer Darstellung der „Kreuztragung Christi“ von Pieter Brueghel dem Jüngeren verkünden.
Das großformatige Gemälde aus dem Jahr 1629 schlummerte jahrhundertelang schwer beschädigt im Depot des Museums, die aufwändige und zeitintensive Restaurierung konnte erst durch die großzügige Unterstützung der Ernst von Siemens Kunststiftung realisiert werden. Ab dem 7. November 2019 wird das frisch restaurierte Gemälde erstmals in neuem Glanz der Öffentlichkeit präsentiert. Das Museum feiert den „neuen“ Brueghel mit einer Sonderausstellung, in der die Entstehungsgeschichte des Gemäldes und ein Blick hinter die Kulissen der aufwändigen Restaurierungsmaßnahmen thematisiert werden. Von der ersten Bestandsaufnahme bis zum letzten Pinselstrich kann das Publikum hautnah die Wiederherstellung eines fast 400 Jahre alten Kunstwerkes nachvollziehen – und sogleich live und in Farbe das Endergebnis des mehrjährigen Prozesses bestaunen.
Pieter Brueghel der Jüngere und seine „Kreuztragung Christi“
Pieter Brueghel der Jüngere war der älteste Sohn des berühmten „Bauern-Bruegel“, Pieter dem Älteren, dessen 450. Todestag in diesem Jahr Anlass für große Sonderausstellungen und Projekte ist. Der jüngere Brueghel hatte aus dem Anfertigen von Kopien der Werke des schon zu seiner Zeit berühmten Vaters ein Geschäftsmodell gemacht, mit dem die Familie und auch die zahlreichen Mitarbeiter seiner Werkstatt ihr finanzielles Auskommen hatten. Bruegel der Ältere war früh gestorben, seine genial-subtilen kirchen- wie auch gesellschaftskritischen Werke waren extrem begehrt, aber nicht mehr zu bekommen. Eine gute Alternative stellten die Bilder aus der Werkstatt des Sohnes dar.
Neben der im Herzog Anton Ulrich-Museum frisch restaurierten „Kreuztragung Christi“ zum Beispiel hat die Brueghel-Werkstatt seit 1599 mindestens 20 weitere Exemplare des verbreiteten Bildthemas angefertigt, der „neue“ Braunschweiger Brueghel stellt die bisher jüngste bekannte Variante aus dem Jahr 1629 dar. Eine Besonderheit bei diesem Motiv: Pieter der Jüngere wich hier an mehreren Stellen deutlich vom Werk des Vaters ab, an dem er sich normalerweise stark orientierte. In die Version des Vaters, die heute im Kunsthistorischen Museum in Wien aufbewahrt wird, kann man – wie in alle seine Werke – Protest gegen die brutale Unterdrückung des damals in den niederländischen Gebieten regierenden spanischen Herrscherhauses hineinlesen. Die Variante Pieters des Jüngeren präsentiert sich an entscheidenden Stellen mit veränderten Details. War das Absicht? Oder ein Versehen? War Brueghel der Jüngere ein stiller Rebell wie sein Vater – oder eher nicht? Das Publikum der Ausstellung wird dazu aufgerufen, diese Frage selbst zu beantworten. Im ersten Ausstellungsraum werden rund um den neu restaurierten Brueghel herum die Familiengeschichte der Künstler-Dynastie und die politische Situation zu ihrer Zeit dargestellt. Details aus dem „Wimmelbild“ des Sohnes sowie eine Reproduktion des Originalmotives des Vaters (das Original aus Wien wird nicht verliehen) laden dazu ein, genau hinzuschauen – und sich eine Meinung zu bilden. Wie schwer wiegen die Abweichungen in den beiden Motiven? Was hat der Künstler damit bezweckt? Die kunsthistorische Forschung diskutiert übrigens bis heute über die gleiche Frage … ohne eindeutiges Ergebnis.
Restaurierung: Vorher, Nachher und alles Dazwischen
Im zweiten Raum gewährt die Ausstellung einen in dieser Detailliertheit bisher nie dagewesenen Blick hinter die Kulissen der musealen Arbeit. Die aufwändige, mehrjährige Restaurierung des großformatigen Gemäldes wurde vom ersten bis zum letzten Schritt minutiös dokumentiert. Anhand von sechs Meilensteinen demonstriert das Restauratoren-Team rund um Armin Lang, der als freier Restaurator für das Projekt engagiert wurde, den Fortschritt des Prozesses. Von der ersten Röntgenaufnahme zur Dokumentation des Zustandes und der Schäden bis zum letzten Pinselstrich kann der Besucher den Restauratoren bei allen Handgriffen über die Schulter schauen. Für alle, die noch tiefer ins Thema Restaurierung eintauchen möchten, bietet das Museum öffentliche Führungen durch die Ausstellung mit den Restauratoren an, zu ausgewählten Terminen jeweils sonntags um 15 Uhr (Termine im Ausstellungsflyer oder auf der Webseite www.3landesmuseen.de).
Brueghel-Werkstatt, Rahmenprogramm und Publikation
Im letzten Ausstellungsraum, der „Brueghel-Werkstatt“, kann das Publikum schließlich selbst Hand anlegen und z.B. ein großes Brueghel-Puzzle zusammenlegen oder sich in eigenen Rekonstruktionen von Details des Gemäldes versuchen.
Die Ausstellung wird darüber hinaus flankiert von einem umfangreichen Rahmenprogramm. Gleich am ersten Wochenende nach der Eröffnung, am 9./10. November 2019, gibt das „Wochenende der Graphik“ die einmalige Gelegenheit, anhand einer kleinen Sonderpräsentation im Kupferstichkabinett des Museums auch einmal tiefer in das Werk Pieter Bruegels des Älteren einzutauchen. In einer Kooperation mit dem Universum Kino in Braunschweig werden Filme gezeigt, die sich auf vielfältige Weise mit den Themen der Ausstellung beschäftigen, seien es Filme zum Thema Restaurierung, Widerstand oder dem historischen Hintergrund des Gemäldes.
Zwei Aktionswochen, die erste vom 13.-19. Januar und die zweite vom 9.-15. März, widmen sich mit Sonderprogramm vertieft den Themen „Wenn Kunst politisch wird“ (im Januar) und „Restaurierung“ (im März). Am letzten Ausstellungstag, dem 17. Mai 2020, schließt die Schau mit einem „Brueghel-Fest“.
Brueghel zum Mitnehmen: Zur Ausstellung erscheint eine Begleitpublikation im Imhof Verlag, erhältlich zum Preis von 14,95 € an der Museumskasse.