Kann das weg, oder muss es bleiben?

Ungeliebte Bauten der Nachkriegsmoderne im Fokus

Landauf, landab prägen sie das Bild unserer Städte: Die Bauten der Nachkriegsmoderne. Ihre Architektur gilt vielen als hässlich, kalt und seelenlos. Mit der Ausstellung „Brutal modern“ stellt das Braunschweigische Landesmuseum die brandaktuelle Frage nach dem Wert dieser Bauten.

Thematisiert werden 20 Gebäude aus der Region Braunschweig-Wolfsburg-Salzgitter, darunter Kirchen, Schulen, Verwaltungs- oder Veranstaltungsstätten, Wohnhäuser, Fabriken und Universitätsinstitute, die in den 60er und 70er Jahren realisiert wurden. Denn die Gebäude sind in die Jahre gekommen, und vielerorts stellt sich akut die Frage: Abreißen oder Sanieren?

Ein Abriss ist endgültig. Schon kurze 10 Jahre nach der Sprengung der Ruinen des Welfenschlosses im Herzen der Stadt Braunschweig im Jahr 1960 wurde das historische Bauwerk schmerzlich vermisst. Die oft hitzigen Debatten um Wiederaufbauprojekte wie des Braunschweiger Schlosses, des Berliner Stadtschlosses / Humboldtforums oder der Frankfurter Altstadt unterstreichen aber: Ein Wiederaufbau kann den Verlust des Originals nie vollständig ersetzen. Vor diesem Hintergrund präsentiert das Museum nicht nur Pläne und Fotos aus der Entstehungszeit der Gebäude, die zum Teil von internationalen Größen wie Alvar Aalto oder Hans Scharoun entworfen wurden, sondern zeichnet auch ein lebendiges Bild der Zeit. Was hatte die Menschen, die mit unbändigem Reformhunger in städtebaulichen Radikalkuren ihre Umgebung modernisierten, geprägt? Welche weltpolitischen und gesellschaftlichen Entwicklungen bewegten die Bevölkerung in den 60er und 70er Jahren? Auch das Zeitkolorit des privaten Lebensbereiches wird durch vier originalgetreu rekonstruierte Wohnräume – Wohnzimmer, Schlafzimmer,  Küche und Kinderzimmer – bunt charmant in Szene gesetzt.
Am Ende der Ausstellung fragt das Museum nach dem Urteil der Besucherinnen und Besucher über die 20 präsentierten Gebäude: Abrisswürdige Bausünde? Seelenloses Betonmonster? Oder eine architektonische Perle, ein Stück bundesrepublikanischer Identität, die schon in wenigen Jahren schmerzlich vermisst werden würde?
„Eine Ausstellung über die Architektur der Nachkriegsmoderne ist insbesondere in Braunschweig überfällig “, betont Museumsdirektorin Dr. Heike Pöppelmann. „Was viele nicht wissen: Die Technische Universität in Braunschweig war in den ersten Jahrzehnten der jungen Bundesrepublik eine einflussreiche Ausbildungsstätte für Architekten, und zwar so einflussreich, dass der Begriff der „Braunschweiger Schule“ geprägt wurde.“
Die Kuratorin der Ausstellung, Frau Dr. Katrin Keßler von der TU Braunschweig, verweist auf das zunehmende fachöffentliche Interesse an der Nachkriegsmoderne: „Auch einer der ersten „Fanclubs“ dieser Architektur, die Initiative „ACHTUNG modern! Architektur zwischen 1960 und 1980“ (ein Projekt der Braunschweigischen Landschaft e.V., des Forums Architektur der Stadt Wolfsburg und des Netzwerks Braunschweiger Schule e.V.), entstand in Braunschweig und setzt sich seit dem Jahr 2013 für den Erhalt der Gebäude ein. Inzwischen gibt es in der ganzen Bundesrepublik zahlreiche Initiativen. Bundesweit Furore machten 2017/2018 das Projekt und die Ausstellung „SOSBrutalism. Rettet die Betonmonster“ des Deutschen Architekturmuseums in Frankfurt.“

Nicht zuletzt durch die sozialen Medien, insbesondere Instagram, lässt sich ein stetig wachsendes Interesse an diesen Gebäuden beobachten. Die Architektur und der Wohnstil dieser Epoche einer Aufbruchszeit sind besonders bei jungen Menschen zunehmend „hip“.
Auch das Braunschweigische Landesmuseum begleitet die Ausstellung intensiv auf digitalen Kanälen. Im Blog #brutalmodern (https://brutalmodern.blogspot.com) werden alle 20 in der Ausstellung präsentierten Gebäude thematisiert und die Leserinnen und Leser via Facebook zur Abstimmung über die Gebäude aufgefordert.
Auf Instagram startet das Museum das assignment #brutalmodern, einen Fotowettbewerb, der zur Dokumentation nicht nur der Architektur, sondern auch des Lebensgefühls der 60er und 70er Jahre aufruft – egal ob Gebäude, alte Werbeschriftzüge, Schallplattencover von Udo Jürgens, psychedelisch anmutende Kleider oder das noch original eingerichtete Wohnzimmer aus dem 60er-Jahre-Reihenhaus.