Das Braunschweiger Herzog Anton Ulrich Museum kann sich über einen außerordentlichen Schatz der Welfen freuen. Aus dem Besitz von Ernst August Erbprinz von Hannover sind 15 kostbarste Silbermöbel aus der Marienburg bei Hannover als langfristige Leihgaben an das Museum gekommen.
„Das Herzog Anton Ulrich Museum gehört mit seinen Beständen Alter Meister und mit seiner kunsthandwerklichen Sammlung in die erste Reihe der europäischen Museen. Daher ist es gleichsam ein ‚natürliches Zuhause‘ für die einzigartigen Silbermöbel der Welfen, bis auf Schloss Marienburg geeignete Ausstellungsräume für sie geschaffen sein werden. Ernst August Erbprinz von Hannover leistet mit dieser langfristigen Leihgabe an das Land einen weiteren wichtigen Beitrag zur Sicherung des welfischen Kulturerbes für die Öffentlichkeit“, sagt Niedersachsens Minister für Wissenschaft und Kultur, Björn Thümler.
Museumsdirektor Dr. Thomas Richter:
„Die Möbel gehören zu den bedeutendsten Stücken ihrer Art. Ihr künstlerischer und materieller Wert ist hervorragenden Gemälden der Braunschweiger Galerie ohne weiteres an die Seite zu stellen. Für das Herzog Anton Ulrich Museum bedeutet diese Leihgabe eine hohe Auszeichnung und die einzigartige Chance, bedeutendstes Kulturgut einer interessierten Öffentlichkeit zu präsentieren. Nach einer gründlichen Vorbereitung in den zuständigen Abteilungen des Museums werden die Silbermöbel ab der zweiten Jahreshälfte 2020 für die Zeit der Bauarbeiten auf Schloss Marienburg den Besucherinnen und Besuchern in Braunschweig zugänglich gemacht.“
Für den Erbprinzen von Hannover gehören die Silbermöbel zum Kernbestand des Kulturerbes seiner Familie:
„Seit ihrer Entstehung vor fast 300 Jahren nehmen die Silbermöbel einen besonderen Platz im historischen Gedächtnis der Welfen ein. Sie verbinden durch ihre wechselvolle Geschichte die ältere Linie der Herzöge von Braunschweig-Wolfenbüttel mit den Kurfürsten und Königen von Hannover. Für die Präsentation im Herzog Anton Ulrich Museum danke ich vor allem dem Direktor, Herrn Dr. Thomas Richter, und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ganz herzlich für ihre Unterstützung und Begeisterung für das Vorhaben.“
Die Objekte sind in verschiedenen Werkstätten der besten Augsburger Gold- und Silberschmiede in zwei Etappen zwischen etwa 1725 und 1730 hergestellt worden. Beschäftigt waren Künstler der berühmten Goldschmiededynastien Biller und Drentwett. Die schon in ihrer Zeit als „königliche“ Stücke gefeierten Silbermöbel repräsentieren einen kaum je wieder erreichten Stand gestalterischen Könnens in der Silberverarbeitung. Das Ensemble nimmt unter den wenigen erhaltenen Werken dieser Art einen international herausragenden Platz ein.
Die Auftraggeber der silbernen Schmuckstücke
In Auftrag gegeben wurden die ersten acht Silbermöbel – die beiden Prunkspiegel, zwei Tische und vier Guéridons (Beistell- bzw. Kerzentische) – von dem in Wien residierenden Prinz Maximilian Wilhelm von Hannover (1666 – 1726), dem jüngeren Bruder König Georgs I.
Prinz Maximilian Wilhelm lebte als kaiserlicher General in Wien und war zum katholischen Glauben übergetreten. Umso mehr lag ihm an dem Verweis auf seine Herkunft aus der ältesten Dynastie Europas. Daher sind die Möbel mit zahlreichen heraldischen Symbolen der Welfen versehen: hierzu zählen die Löwen (Lüneburg) und Leoparden (Braunschweig) als Wappensymbole genauso wie die in großartiger Weise vollplastisch gestalteten Welfenrösser an den Tischgestellen und Spiegelbekrönungen. Mit diesen aufsehenerregenden Werken wollte der Prinz in der Fremde mit künstlerischen Höchstleistungen seinen eigenen wie den Anspruch seiner Familie nachhaltig legitimieren.
Lange konnte sich Prinz Maximilian Wilhelm allerdings nicht an den kostbaren Stücken erfreuen. Er starb schon 1726, kurz nach Fertigstellung. Herzog August Wilhelm von Braunschweig-Wolfenbüttel (1662-1731) erwarb die Silbermöbel unmittelbar nach dem Tod seines Verwandten und ließ sie nach Braunschweig bringen, wo sie im sogenannten Grauen Hof, der im Bau befindlichen Stadtresidenz des Fürsten, untergebracht wurden. Den Armlehnstuhl sowie die vier weiteren Stühle gab er in Ergänzung des Ensembles in Auftrag. Sie wurden für den Herzog ebenfalls in Augsburg, in der Werkstatt Philipp Jakob Drentwetts, gefertigt. Die alte Fernhandelsstadt Augsburg war im 17. und 18. Jahrhundert das internationale Zentrum der Silberverarbeitung.
Auch August Wilhelm jedoch blieb nur wenig Zeit mit den nun 15 Möbelstücken, er starb 1731. Und die Reise des Silber-Ensembles quer durch Europa setzte sich fort…
Die abenteuerliche Reise der Silbermöbel
Weil August Wilhelm seinem Nachfolger hohe Schulden hinterließ, verkaufte dieser die Silbermöbel unmittelbar an die rivalisierende kurfürstlich-königliche Welfenlinie in Hannover. König Georg II. (1683-1760) machte den Besitzübergang des herausragenden Ensembles deutlich, indem er sein Monogramm an den Lehnstühlen anbringen ließ. Die Möbel wurden in Georgs kurfürstlicher Residenz aufgestellt, dem Leineschloss in Hannover. Dort bildeten sie den Höhepunkt in der höfischen Repräsentation eines der bedeutendsten europäischen Adelsgeschlechter.
1803 wurden die Möbel mit dem gesamten Silberbestand des Leineschloss vor den anrückenden französischen Truppen nach England in Sicherheit gebracht. Dort waren sie zumindest zeitweise Teil der Ausstattung von Windsor Castle. König Georg IV. ließ die Silbermöbel wieder nach Hannover bringen, als er dort mit dem klassizistischen Umbau des Leineschlosses begann. Doch als das Königreich Hannover 1866 von Preußen annektiert wurde, nahm König Georg V. die Möbel mit in das österreichische Exil. Ende des 19. Jahrhunderts gehörten sie dem Herzog von Cumberland, wie der frühere Kronprinz Ernst August von Hannover (1845-1923) nun genannt wurde. Sie standen in dessen Palais in Wien und somit wieder dort, wo ihre „Reise“ einst begonnen hatte.
1933/34 verlegte der letzte Herzog von Braunschweig seinen Wohnsitz von Österreich nach Schloss Blankenburg im Harz. Damit fanden die Silbermöbel zum zweiten Mal den Weg ins Braunschweiger Land, bis sie 1945 von der britischen Besatzungsmacht nach Schloss Marienburg gebracht wurden. 1952 waren die Möbel im Victoria and Albert Museum in London zu sehen, wurden 1955 vorübergehend Teil der Ausstellung im Fürstenhaus Herrenhausen, um später erneut auf die Marienburg zurückzukehren.
Jetzt „gastieren“ die Silbermöbel zum dritten Mal in drei Jahrhunderten im alten Land Braunschweig. Sie werden nach Schloss Marienburg zurückkehren, sobald sie nach der Sanierung dort angemessen präsentiert werden können.