Verführung garantiert!

Das neue Herzog Anton Ulrich-Museum

Kunstmuseum des Landes Niedersachsen wird nach sieben Jahren Planung, Sanierung und Einrichtung neu eröffnet

Am 22. Oktober 2016 ist es soweit: Mit dem Herzog Anton Ulrich-Museum in Braunschweig wird eines der 20 bedeutendsten und ältesten Kunstmuseen Deutschlands nach sieben Jahren Sanierung mit einem feierlichen Festakt in Anwesenheit von Ministerpräsident Stephan Weil und der Niedersächsischen Ministerin für Wissenschaft und Kultur Gabriele Heinen-Kljajić neu eröffnet. Ab dem 23. Oktober ist das Haus erstmals für das Publikum zugänglich, sieben Tage lang, zwischen dem 23.-30. Oktober (außer montags) feiert das Museum die Neueröffnung mit einer eintrittsfreien „Woche der offenen Tür“.
Im Rahmen der größten Kulturbaumaßnahme des Landes Niedersachsen der vergangenen 20 Jahre sind insgesamt 35,6 Millionen Euro in die in zwei Bauphasen erfolgte Erweiterung und Sanierung des traditionsreichen Hauses geflossen. Die Sanierung war notwendig, weil der Museumsbau aus dem Jahr 1887 an seine Grenzen gelangt war. Hoffnungslos veraltete Technik, drastische Schäden in der Bausubstanz und Platzmangel – neben der 190.000 Kunstwerke umfassenden Sammlung und den Ausstellungsräumen mussten auch 40 Mitarbeiter im Gebäude Platz finden – machten eine Sanierung und Erweiterung unumgänglich.
4000 Kunstwerke, die eine Spanne von beeindruckenden 3000 Jahren Kunstgeschichte umfassen, verführen auf rund 4000 m² Ausstellungsfläche nach der erfolgreichen Sanierung wieder zu Kunstgenuss auf höchstem Niveau. Denn die Liste der in der Sammlung vertretenen Künstler liest sich – dank des Museums-Namensgebers Herzog Anton Ulrich von Braunschweig-Lüneburg und seiner Nachfolger – wie ein Who is Who der Kunstgeschichte: Rubens, Rembrandt, Vermeer, Cranach, Dürer, Holbein, Elsheimer, Giorgione, Palma il Vecchio, Veronese, Rosso Fiorentino, Permoser, Goya, Beckmann oder Picasso sind nur eine Handvoll der namhaften Meister, die zum Teil schon seit mehr als 300 Jahren in Braunschweig zu finden sind.

„Die Wiedereröffnung des HAUM ist ein großartiges Ereignis für das Museum, die Stadt Braunschweig und das Land Niedersachsen. Mit dem neuen HAUM besitzt Niedersachsen eine Perle unter den Kunstmuseen Deutschlands“, sagt die Niedersächsische Kulturministerin Gabriele Heinen-Kljajić. „Die Landesregierung hat mit der Sanierung eine der größten Baumaßnahmen seit Jahrzehnten gestemmt. Das Ergebnis ist absolut überzeugend. Wir freuen uns sehr, dass das Museum seine kostbaren Sammlungen nun neu und zeitgemäß präsentieren kann. Alle Beteiligten, unsere Bauverwaltung, die Architekten und das gesamte Team des Museums haben sehr engagiert gearbeitet und Großartiges geleistet.“

Erweiterung und Sanierung: Mehr Platz, mehr Service, mehr Museum!
In der ersten Bauphase wurde hinter dem Museumsgebäude aus dem 19. Jahrhundert ein neuer Funktionsbau errichtet, in dem Verwaltung, Depots, Restaurierungswerkstätten, Kupferstichkabinett, Bibliothek sowie in Zukunft auch ein Museumscafé und neue Räume für die Museumspädagogik untergebracht sind. Erst durch den Einzug in diesen Neubau wurde der Weg frei für die Sanierung des im Jahr 1887 von Oskar Sommer errichteten Museumsgebäudes, die im zweiten Schritt der Baumaßnahme erfolgte. Das Altgebäude wurde von nachträglichen Einbauten befreit, bis auf den Rohbau entkernt, grundlegend saniert und mit moderner Ausstellungstechnik ausgestattet.
Damit ist das Museum nun sowohl technisch als auch räumlich in der Lage, wieder in der ersten Liga deutscher und europäischer Ausstellungshäuser zu spielen. Die Sonderausstellungsfläche hat sich mehr als verdoppelt und kann in Zukunft auf maximal 900 m² wechselnde Ausstellungen präsentieren, moderne Klimatechnik stellt sicher, dass auch Leihgaben aus den großen Museen in New York, Paris, London oder Rom ausgeliehen werden können. Neben neuen, großzügigen Servicebereichen sind auch ein Museumsshop, ein 250 m² großer Veranstaltungsraum sowie rund 150 m² Fläche für museumspädagogische Veranstaltungen dazu gekommen – alles heutzutage völlig selbstverständliche Angebote eines modernen, besucherorientierten Museums.

Die neue Sammlungspräsentation
Ausgangspunkt der Neukonzeption, mit der das Berliner Architekturbüro Kuehn Malvezzi beauftragt wurde, waren die hochkarätigen Bestände des Museums, die zu den bedeutendsten Sammlungen frühneuzeitlicher Kunst zählen – weltweit. Die Neueinrichtung stand unter der Maxime, diese Kunstwerke optimal in ihrer Prachtentfaltung zu unterstützen. Gleichzeitig stand größtmögliche Besucherorientierung ganz oben auf der Liste der Prioritäten.
„Uns war klar, dass wir vor einer großen Herausforderung standen“, erklärt Museumsdirektor Prof. Dr. Jochen Luckhardt. „4000 Kunstwerke verteilt auf drei Etagen und 38 Ausstellungs-räume können den Besucher leicht überfordern. Unser Lösungsansatz lautet: optisch auf Abwechslungsreichtum setzen, inhaltlich Themen wählen, an denen der heutige Besucher andocken kann. Grundlage der Einrichtung war auch ein neues inhaltliches Konzept, das von wesentlichen Alleinstellungsmerkmalen des Hauses ausgeht, nämlich auch Produktion und Handel, Sammeln und Präsentieren von Kunst in der frühen Neuzeit zeigen zu können.“

Abwechslungsreich präsentieren sich die Ausstellungsräume daher nicht nur in ihrem Farbkonzept, mit sechs verschiedenen Farben in der Gemäldegalerie sowie 12 Farben bei Skulpturen und Angewandter Kunst. Auch in puncto Präsentation und Ausstellungsarchitektur haben Kuehn Malvezzi und das Museumsteam auf Variation gesetzt. Im 2. Obergeschoss, wo im Bereich Skulpturen und Angewandte Kunst allein ca. 3500 der 4000 ausgewählten Kunstwerke gezeigt werden, wurde ein Parcours-artiger Rundgang gestaltet, in dem sich dichte Inszenierungen mit großzügigen Räumen abwechseln, die dem Besucher immer wieder die Möglichkeit bieten, angesichts der Fülle von Kunstwerken durchzuatmen und sich immer wieder neu inspirieren zu lassen. In der Gemäldegalerie, die von ihrem Grundriss her mit meterhohen Räumen und vier imposanten Oberlichtsälen sehr symmetrisch angelegt ist, wurden in einigen Seitenkabinetten bewusst Zwischenwände, Pulte oder Vitrinen installiert, um den Besucher_innen beim Rundgang Abwechslung zu bieten.

Inhaltlich orientiert sich die neue Präsentation an Themen, die von der Antike bis in die Gegenwart Menschen bewegen bzw. bewegt haben. Ob Leidenschaften oder Familienbilder als Raumthemen in der Gemäldegalerie, Branding, Lifestyle oder Bildung als Leitmotiv im 2. Obergeschoss: Auf drei Stockwerken Museum dreht sich alles um die großen Fragen der Menschheit. Denn genau hier liegt die Stärke der Sammlung, die im Kern eine fürstliche Schöpfung des barocken Zeitalters ist. Ob antike Sagen und Mythen, Szenen aus der Bibel, historische Ereignisse, Stillleben oder Genremalerei: bildgewaltig und bewegend erzählt die Kunst vom menschlichen Ringen mit Liebe und Leid, Macht und Ohnmacht, Leben und Sterben.

Das Erdgeschoss
Die umfassendsten baulichen Veränderungen haben im Erdgeschoss stattgefunden, das vor der Sanierung noch die Verwaltung beherbergen musste. Hier können in Zukunft in den neu entstandenen Sonderausstellungsräumen auf 900 m² Fläche wechselnde Themenpräsentationen gezeigt werden, die erste große Sonderausstellung widmet sich ab dem 6. April 2017 dem Thema „Zeichnen von Dürer bis heute“.
Neu sind auch ein Raum zur Einführung in die Geschichte der Sammlungen und des Museums sowie ein Ausstellungsraum „Kunst auf Papier“, in dem in Zukunft ein dauerhaftes und großzügiges Schaufenster in eine der bedeutendsten graphischen Sammlungen Europas geboten wird. Für die Präsentation haben Kuehn Malvezzi und das Museumsteam ein neues Konzept entwickelt, das auf eigens für das Museum konzipierte Schauvitrinen setzt, die dem Besucher ein erstrangiges Seh-Erlebnis bescheren, wie es dem unmittelbaren Umgang mit graphischen Werken auf den Tischen im Studiensaal des Kupferstichkabinetts entspricht. Die Eröffnungspräsentation ist einem Thema von grundlegender Bedeutung gewidmet: "Künstler! Druckgraphische Bildnisse aus sechs Jahrhunderten" (bis 5.2.2017).
Last but not least finden geneigte Besucher_innen im Erdgeschoss in Zukunft auch einen Museumsshop, von dem aus ab 2017 das neue Museumsbistro frequentiert werden kann, das im Anbau untergebracht sein wird. Bis zur Eröffnung des Bistros 2017 wird ein kleines Café im Bereich des Museumsshops eingerichtet, das Snacks und Getränke anbietet.

1. Obergeschoss: Gemäldegalerie
Auch die räumliche Situation in der Gemäldegalerie hat sich durch den Rückbau erheblich verbessert. Die frühere besucherunfreundliche Sackgassen-Situation, die durch die Abtrennung von Räumen und den Einbau von Zwischenwänden entstanden war, wurde durch die Sanierung behoben. Rund 150 m² Fläche in Form von drei neuen Ausstellungsräumen wurden hinzugewonnen, die Gemäldegalerie kann nun mehr nicht nur durch einen zentralen Haupteingang, sondern auch durch zwei Seiteneingänge betreten werden.
Noch unmittelbarer erfahrbar sind die atmosphärischen Veränderungen. Eine auf die Werke des Museums hin maßgeschneiderte Wandbespannung in hellen Blau-, Rot- und Grüntönen hebt die Kunst sanft hervor und unterstützt gleichzeitig das offene Raumgefühl der großzügigen Architektur. Erstmals erhält die Galerie zeitgemäße Akzentstrahler, mit denen jedes Kunstwerk einzeln beleuchtet und brillant in Szene gesetzt werden kann.
Die inhaltliche Konzeption wurde ebenfalls grundlegend überarbeitet. In der neuen Gemäldegalerie werden 315 Werke präsentiert, 10 % mehr als zuvor. Rund 70 der 315 Gemälde sind neu in der Präsentation, waren zum Teil seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges nicht mehr öffentlich ausgestellt. Einige Werke wanderten dafür ins Depot. Die neue Hängung orientiert sich stärker an den veränderten Sehgewohnheiten und Vorlieben der heutigen Besucher_innen. Wo früher oft die kunsthistorische Bedeutung die einzige Richtschnur bildete, liegt heute der Fokus darauf, das ganze Spektrum der Sammlung möglichst breit zu zeigen. Eine größere Auswahl der beim Publikum besonders beliebten Motive, wie Stillleben, Landschaft, Tierstück oder attraktive Damenporträts sind nun zu sehen. Jeder Ausstellungsraum widmet sich darüber hinaus einem speziellen thematischen Motto, das unseren Besucher_innen einen neuen inhaltlichen Zugang ermöglichen soll. Dies kann künstlerische Prinzipien betreffen, wie die Beziehung zwischen den Darstellenden Künsten und der Malerei, wie das Selbstbild des Künstlers, oder auch die Kunst der Täuschung durch die Malerei. Aber auch sehr aktuell anmutende Themen sind zu entdecken, z. B. die Migration von Künstlern in Zeiten des Dreißigjährigen Krieges oder die Bedeutung der Familie in der Gesellschaft. Die verstärkte Besucherorientierung äußert sich auch darin, dass in der neuen Galerie zum ersten Mal jedes Kunstwerk eine Einzelbildbeschreibung erhalten hat. Die kurzen Bilderläuterungen bieten im Zusammenspiel mit einem kostenlosen Booklet mit den Raumtexten die Möglichkeit zur vertiefenden Auseinandersetzung mit den Themen der einzelnen Säle.

2.Obergeschoss: Skulpturen und Angewandte Kunst
Wie die beiden anderen Stockwerke hat auch das 2. Obergeschoss, in dem die Skulpturen und die Angewandte Kunst untergebracht sind, tiefgreifende Verbesserungen erfahren. In Zusammenarbeit mit den Architekten von Kuehn Malvezzi wurde der Rundgang als ein Parcours gestaltet, der mit kräftigen Farben und abwechslungsreicher Ausstellungsarchitektur die Besucher_innen zur Auseinandersetzung mit der Kunst anregen will. Die Sanierung bot die Chance, sich bei der Neugestaltung der Präsentation von alten Denkweisen zu verabschieden und erstmals ein konsequent an den Stärken der Sammlungen orientiertes Gesamtkonzept zu erarbeiten. Im Ergebnis erwartet die Besucher_innen eine zweigeteilte Präsentation.
In den straßenseitigen Ausstellungsräumen können ausgewählte Sammlungsbestände, zum Teil in aufgearbeiteten historischen Vitrinen, ihre volle Pracht enfalten. So findet sich im neuen Museum neben Räumen mit Fürstenberg-Porzellan, Email, Majolika, ostasiatischen oder ethnologischen Objekten auch erstmals eine Skulpturengalerie. Nie zuvor hat das Museum so viele seiner antiken Skulpturen zeigen können, rund die Hälfte der Objekte waren bisher noch nicht öffentlich ausgestellt. Die Sammlung von Ostasiatika, von Gästen aus China und Japan schon immer bestaunt, wird durch die neue Inszenierung auch für den Laien als außergewöhnlich qualitätvoll erfahrbar.
Parkseitig erwarten die Besucher_innen Themenräume, die sammlungsübergreifend konzipiert wurden. Ob Lifestyle, Branding oder Tafelkultur – die Themen holen die modernen Besucher_innen dort ab, wo sie stehen. Die Frage z. B., wie man sich ein Image aufbaut und wo man sich die Inspiration dafür holt, bewegt nicht nur den heutigen Blogger / YouTuber / Startup-Gründer, sondern beschäftigte schon die frühneuzeitlichen Herrscherhäuser (Themenraum „Der Fürst als Marke“). Ein Highlight dieses Ausstellungsbereiches ist die „Kunstkammer“, ein im Setzkasten-Prinzip gestalteter Raum voller wundersamer Objekte, wie z. B. einer Armprothese aus dem 17. Jahrhundert, einem Papierblumenstrauß um 1800, dem anatomischen Modell einer schwangeren Frau, Korallen, Straußeneiern, Steinen, denen man magische Kräfte zusprach und nicht zuletzt dem Horn des legendären Einhorns (alias dem Stoßzahn eines Narwals).

2. Obergeschoss: Intervention: Raum für junge Kunst
Spazieren die Besucher_innen im zweiten Obergeschoss von der straßenseitigen Sammlungspräsentation in die parkseitigen Themenräume, passieren sie stirnseitig einen Raum, der sie kurzzeitig in die Gegenwart zurückholt. Der als moderne Intervention konzipierte Bereich zeigt in wechselnden kleinen Sonderpräsentationen zeitgenössische Künstler, die in einen Dialog mit den Sammlungen des Herzog Anton Ulrich-Museums treten. Den Auftakt zur Eröffnung des Museums macht der in Berlin geborene Maler, Grafiker und Bildhauer Wolfgang Petrick mit der Präsentation „Wunderspiegel“. Seine höchst sinnlichen Installationen bestehen aus Kombinationen von – auf den ersten Blick unzusammenhängenden – Objekten, Materialien und Fundstücken. Ganz im Sinne des Barock thematisieren sie morbide Schönheit, Vergänglichkeit und Groteskes.

Kunstvermittlung: Interaktionstisch, iPads und Nina Ruge
Das digitale Zeitalter ist im Jahr 2016 längst auch in den Museen angekommen, daher finden sich im neuen Herzog Anton Ulrich-Museum neben altbewährten Angeboten wie einem Audioguide für Erwachsene und Kinder auch neue Vermittlungsformate, wie z. B. das Besucherinformationssystem „EyeVisit“, das in einem mehrjährigen Forschungsprojekt mit dem Leibniz-Institut für Wissensmedien in Tübingen entwickelt wurde. Der intuitiv bedienbare Interaktionstisch, der im Einführungsraum im Erdgeschoss untergebracht ist, will auf spielerische, niedrigschwellige Art und Weise Inhalte vermitteln; 70 Kunstwerke aus den Sammlungen stehen zur Erforschung bereit. Die Inhalte des Interaktionstisches sind auf an der Museumskasse ausleihbaren iPads enthalten und können so nicht nur auf dem Interaktionstisch, sondern auch direkt vor dem Kunstwerk aufgerufen werden. Besucher_innen, die eher traditionelle Wege der Kunstvermittlung bevorzugen, können auf den Audioguide zurückgreifen, der auf Deutsch und Englisch Informationen zu 50 Kunstwerken enthält. Der deutsche Audioguide wurde von der in Braunschweig aufgewachsenen bekannten Moderatorin und Autorin Nina Ruge besprochen, eine „Direktorenführung“ mit sieben Highlights aus den Sammlungen wurde von Museumsdirektor Prof. Dr. Jochen Luckhardt eingesprochen. Der Audioguide für Kinder wurde in Zusammenarbeit mit der Berliner Firma „Rabenkultur“ realisiert und bringt Kindern in Form von Hörspielen zehn Kunstwerke näher.